Rabenmond - Der magische Bund
hineinzugrinsen. Faunia... das Mädchen, das Lyrian umgarnte, war noch viel gefährlicher, als sie angenommen hatte. Offenbar gab sie sich als eine andere aus.
Lyrian tappte in eine Falle und Baltibb konnte ihn nicht einmal warnen. Es war eine schicksalhafte Strafe dafür, dass er sie im Stich gelassen hatte. Sie alle würden bestraft werden, die höchsten Drachen von den niedrigsten Dienern!
Eiligen Schrittes ging Baltibb durch den Matsch, verwirrt und erregt, weil die Welt auf dem Kopf stand und sie, wie Nethustra gesagt hatte, endlich oben war.
In der Ferne
S eit Lyrian bei ihr gewesen war, hatte Mion nichts mehr von ihm gehört. Noch Tage danach schlich sie erwartungsvoll durchs Haus und spähte aus den Fenstern - draußen glaubte sie, herumschleichende Füchse zu sehen, und jeden Raben, der vorbeiflog, verwechselte sie hoffnungsvoll mit einer Schwalbe.
An grauen Vormittagen, wenn sie mit Osiril Tee trank und beide dem leisen Regenprasseln lauschten, zählte sie die Tage bis zur Theaternacht, gewiss, dass Lyrian kommen würde, dass es gar nicht anders sein konnte. Doch wenn sie abends im Bett lag, überfielen sie Zweifel. Er war wahrscheinlich längst auf dem Weg nach Kossum und würde von dort aus nach Whalentida reisen. Sie stellte sich vor, wie er eines Morgens in Gestalt der Schwalbe davonfliegen würde, dem südlichen Himmel entgegen, um mit einem Windrausch für immer zu verschwinden. Dabei wusste sie nicht, wer ihr einsamer vorkam, er oder sie.
Sie ging zu Morizius und bat ihn um Kriegsberichte über Kossum. Der alte Hausverwalter musterte sie so herablassend, als hätte sie ihn nach einer Rüstung gefragt, die sie zu einem Ball tragen wollte. Doch schließlich rückte er zwei Bände heraus, einen über das »südöstliche Menschenproblem« und einen mit dem Titel Die Pflicht des Kaiserlichen Drachentums im In- und Ausland . Mion schaffte es sogar, Morizius den letzten Rundbrief der Drachen zu entlocken, der die Gilden über die Kriegslage informierte und den Morizius klammheimlich in der Bibliothek versteckt hatte, bevor Jagu ihn wie üblich verbrennen konnte. Ein paar Tage verbrachte Mion mit den Schriften, doch wie es Lyrian ging, erfuhr sie dadurch natürlich nicht.
Wenn er tatsächlich zurückkehrte, würde sie dann mit ihm fortgehen? Sie konnte nicht sagen, ob sie ehrlich gewesen war, als sie ihm dieses Versprechen gegeben hatte... und sie konnte nicht aufhören, sich vorzustellen, dass ihre Zeit mit Jagu ablief. Sie beobachtete ihn schweren Herzens, als vermisste sie ihn jetzt schon. Dabei war das alles natürlich Unsinn. Sie würde ihn nicht verlassen. Aber ganz gleich, wie oft ihr Verstand das sagte, das Gefühl von Abschied und Endgültigkeit blieb.
»Was ist denn?«, fragte Jagu eines Abends, als sie lustlos in ihrem Gemüse herumstocherte, ohne zu merken, dass alle anderen bereits aufgegessen hatten. Sie sah ihm in die Augen und fragte sich, warum er diesen unbeschwerten Ton anschlug, wo doch seine eigene Schwermut kaum zu übersehen war. Unauffällig stand die Köchin auf und räumte den Tisch ab. Auch Morizius zog sich in seine Kammern zurück, ausnahmsweise spürend, dass er unerwünscht war. Mion und Jagu blieben allein im Esszimmer. Eine Weile musterten sie einander.
»Er wird wiederkommen. Ganz alleine läuft er nicht davon.«
Es störte sie plötzlich, dass Jagu tat, als würde er ihn kennen. Jagu schien ihre Gedanken zu erraten und lächelte trocken.
»Mach dir keine Sorgen um deinen Prinzen. Er wird gewiss von so vielen Drachen und Darauden bewacht, dass er vor lauter Leibwächtern keinen einzigen Menschen zu Gesicht bekommt.«
»Ich mache mir keine Sorgen um ihn.« Wie so oft hatte Mion das Gefühl, dass es keine Geheimnisse zwischen ihnen gab - er wusste, was in ihr vorging, und sie wusste, dass er es wusste. Trotzdem war er ihr fremder denn je.
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte er leise. »Du hast Unglaubliches vollbracht.«
Mion fühlte ein Prickeln in der Wirbelsäule, und zugleich wurde ihr Herz so schwer, als würden Jagus Worte Blei darüberträufeln. In seiner Gegenwart schien alles, was ihr ein schlechtes Gewissen bereitete, richtig zu werden. Dabei ahnte sie manchmal, dass er auch an ihrem schlechten Gewissen Schuld trug... wie ein Heilmittel, das zugleich die Krankheit verursachte. Sie seufzte tief. Egal was sie über Jagu dachte, das Gegenteil war immer auch zutreffend.
Ein Heer von zweitausend Menschenkriegern, fünfzig Sphinxen, zwanzig Darauden und
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