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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Mann seine Faust in die Hand. Baltibb hatte vergessen, wie er hieß, doch er war ein Bauer gewesen, bevor er zu den Rebellen übergelaufen war. Seine Frau und seine Kinder wohnten ebenfalls in Albathuris, doch sie blieben den politischen Gesprächen fern - wie so viele Angehörige, die nicht aus Überzeugung, sondern Mittellosigkeit gekommen waren. Nethustra akzeptierte das. Er öffnete jedem die Tore seiner Stadt, dem die Drachen Hilfe verweigert hatten.
    »Da hast du recht«, erwiderte er und wirkte erfreut. »Es ist immer die Angst, die die Menschen zusammenführt. Doch dabei droht die größte Gefahr nicht von außen, sondern innen: Dafür gibt es schließlich das Gesetz, und was sonst macht eine Gesellschaft aus, wenn nicht der Entschluss, nach denselben Regeln zu leben?« Er klopfte liebevoll auf den Folianten in seinen Armen. »Aber wie die Denker der Vorzeit uns erklärt haben, kann ein Gesetz nur legitim sein, wenn das Volk seine Richtigkeit anerkennt. Ein Gesetz, das blinden Gehorsam verlangt und nicht nachvollziehbar ist, kann nicht recht sein. Was ist also ein Staat wie Wynter, in dem das Gesetz von den einen nicht verstanden und von den anderen missachtet wird? Das Gesetz der Drachen ist Willkür.«
    Nethustra erntete Zustimmung von allen Seiten. Doch er schien erst zufrieden, als eine junge Frau einwarf: »Die Drachen behaupten aber, unsere Gefühle verhindern, dass wir das Gesetz verstehen. Und die meisten Menschen befolgen die Regeln wirklich nur, weil sie Bestrafung fürchten. Nicht Verstand, sondern Angst macht sie zu guten Bürgern.«
    Reger Protest wurde laut. »Aber das liegt daran, dass die Gesetze der Drachen nicht vernünftig sind! Sie dienen ihrer Machterhaltung und nicht dem Volk!«
    Aufmerksam folgte Baltibb der Diskussion, ohne selbst mitzureden. Sie sah keinen Grund, ihre Gedanken zu teilen, solange sie die Meinungen der anderen hörte.
    Seit ihrer Ankunft in Albathuris hatte sie viel erfahren. Sie hätte nie gedacht, dass sie die Welt einmal so anders betrachten würde. Alles, was im Nebel der Ahnung gewesen war, trat nun ins Licht, von Nethustra, seinen Büchern und den Rebellen in Worte gefasst.
    In den ersten Tagen hatte sie den Gesprächen noch mit ängstlicher Faszination gelauscht wie ein Kind dunklen Schauermärchen. Mit der Zeit gewöhnte sie sich an Worte wie »Volksherrschaft«, »Menschenverstand« und »Tyrannei«, an die sie früher nicht einmal zu denken gewagt hätte. Doch hier waren Gedanken etwas Hochgeschätztes; für sie gab es keine Grenzen. Viele Anhänger Nethustras - wie der alte Führer selbst - verbrachten ihr Leben damit, Ideen und Theorien zu kosten wie süße Früchte, aber Baltibb gehörte nicht dazu. Sie begriff, dass die Herrschaft der Drachen schlecht war, und mehr musste sie nicht wissen. Nun ging es darum, etwas dagegen zu unternehmen.
     
    Die Regenschauer waren allmählich zurückgegangen, dafür fegte heftiger Wind durch das Land und viele Nächte lang tobten Herbstgewitter. Baltibb lag oft wach und lauschte dem Sturm. Mond, der mit ihr im Bett schlief, zuckte bei jedem Donnerschlag zusammen und wimmerte in seinen Träumen - dann flüsterte Baltibb ihm beruhigend zu. Aber sie flüsterte auch andere Dinge... Dinge, die sie nie einem Menschen gesagt hätte und nicht wagte, unausgesprochen in ihrem Kopf kreisen zu lassen.
    Wo er wohl war und woran er dachte? Die Antwort zu beiden Fragen war dieselbe - Faunia. Oder das Mädchen, das sich als Faunia ausgab. Baltibb wurde kalt und heiß vor Sehnsucht und Zorn, Hass und Trauer. Sie wusste nun, dass die Drachen an all ihrem Leid Schuld trugen, und sie war entschlossen, sich zu rächen. Aber trotz allem... trotz allem schrak sie vor dem Gedanken zurück, Lyrian etwas anzutun. Er wusste nicht, dass er grausam war. Sie würde ihm die Augen öffnen, indem sie alles um ihn herunterriss wie eine Fassade, alles Übel zerstörte. Und dann, wenn nichts mehr existierte außer ihm und ihr, würde er sie erkennen, und sie würde ihm vergeben.
    Nur nachts gab sie diese Wünsche vor sich zu, aber wenn es Tag wurde, versanken die Gefühle in ihr wie in einem Brunnen, ohne die stille Oberfläche zu erschüttern. Sie arbeitete, wo Arbeit gebraucht wurde: Mal grub sie die Gemüsebeete um, kratzte Kartoffeln aus der Erde und wusch Möhren, mal mistete sie Ställe aus und striegelte die Pferde. Einmal brachten die Rebellen Ruinenschätze nach Albathuris, die sie in der Nähe ausgegraben hatten, und Baltibb half, sie zu reinigen.

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