Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
zurückkehren?“
„ Ich weiß noch nicht.“
Morawena lächelte, wie Elsa glaubte, oder auch nicht, denn ihr Mund war ein blutleerer Strich, gleich dem dämmerfarbenen Meer. Sie war wieder eine Frau aus Stein und nichts mehr war aus ihr herauszubekommen. Elsa stellte noch viele Fragen, wusste aber, dass Morawena gesagt hatte, was sie hatte sagen wollen.
Bis es dunkel wurde, saß Elsa bei ihr und genoss den Frieden, der von der anbrechenden Nacht ausging. Der Duft der Blumen war einer Andeutung von Heu gewichen. Als ihr kalt wurde, stand Elsa auf und ging. Niemand war auf dem Flur, es war unheimlich still und leer. Einige Stockwerke tiefer, als Elsa in ihr Zimmer gehen wollte, trat ihr Gaiuper aus dem Dunkeln entgegen.
„ Komm mit!“, sagte er.
Sie folgte ihm die kreisförmigen Gänge hinab. Er sagte kein Wort, bis sie die Kellerräume erreicht hatten. Dort warteten zwei Schläger und Kamark, der Weltenführer. Er hielt eine Lampe in der Hand, die zitterte und sein weißes Gesicht mit hübschen, gruseligen Schatten verzierte.
„ Er wird dich nach Sommerhalt bringen“, sagte Gaiuper
„ Mich allein?“
„ Ja, dich allein. In drei Tagen wird Amandis’ Hochzeit gefeiert. Bis dahin findest du für mich das Buch, das ‚Bolhins Reisen’ heißt. Du wirst dich mit dem König anfreunden müssen und damit dir das gelingt, habe ich das hier für dich.“
Er reichte ihr ein Kästchen, das in weiche, dunkelrote Seide eingeschlagen war.
„ Was ist das?“
„ Ein Gruß von Morawena. Er wird es annehmen, denn er hat eine Schwäche für sie.“
„ Ich glaube nicht, dass er sich deswegen mit mir anfreunden wird …“
„ Das ist dein Problem. Finde das Buch und gib es den Boten, die ich dir am Morgen der Hochzeit schicken werde. Sie werden bei Sonnenaufgang am Tor sein, durch das du Sommerhalt heute Nacht betreten wirst. Wenn du den Auftrag für mich erledigst, lasse ich dich gehen.“
„ Das soll ich glauben? Du hast gesagt, du lässt mich niemals laufen!“
„ Ich habe gesagt, du wirst niemals in Sicherheit sein, da du einen Vertrag unterschrieben hast. Jederzeit kann ich dich holen, wenn ich dich brauche. In einem Monat, in einem Jahr oder kurz vor dem Ende der Zeit. Damit wirst du leben müssen. Erweist du dich aber als nutzlos und stehst am Tag der Hochzeit ohne das Buch da – dann wird es dir schlecht ergehen. Du weißt, was das heißt?“
Elsa schielte in Kamarks Richtung. Seine Lampe zitterte noch mehr als zuvor.
„ Schon gut“, sagte sie und hoffte, dass es gelassen klang. „Aber was ist mit den Ausgleichern und den Möwen? Meinst du, die lassen mich einfach so in Sommerhalt herumspazieren?“
„ Sie wissen ja nicht, dass ich dich geschickt habe. Offiziell hast du dich von uns losgesagt. Jetzt, da Morawena aufgewacht ist, bist du sowieso ein kleiner Fisch. Natürlich könnten sie das Verfahren an dir ausprobieren wollen, also sei vorsichtig.“
Im Schutz der Nacht brachten die Schläger Elsa und Kamark zu einem unterirdischen Anlegeplatz und einem Boot, das auf dem Wasser heftig auf- und abschaukelte. Elsa hatte den Eindruck, dass Kamark nicht besonders seetüchtig war, so schockiert, wie er das Boot betrachtete. Als sie schließlich von den Schlägern hinaus aufs Meer gerudert wurden und das Boot von einem Wellental ins nächste stürzte, übergab sich Kamark in alle Himmelsrichtungen. Elsas Magen verhielt sich erstaunlich ruhig. Um sie herum herrschte dunkles Chaos, sie war triefend nass und blieb von Kamarks Nöten nicht verschont, wurde jedoch immer mal wieder von einer halben Welle übergossen, was sie ablenkte und in gewisser Weise säuberte. In ihrem Kopf arbeitete es: Sommerhalt, Feinde, König Nada, das Buch … könnte sie es bekommen? Wenn nicht, was dann?
Nach ungefähr zwei Stunden erreichten sie das Festland. Während sie zu viert über den sandigen Untergrund wanderten, was sehr anstrengend war, weil sie immer wieder darin versanken, hörte Elsa den Weltenführer leise fluchen. Er verstummte, als die Schläger ein Gespräch miteinander begannen. Sie sprachen nur kurz und leise miteinander, doch was Elsa davon mitbekam, war aufschlussreich. Gaiuper habe eigene Pläne, meinte der eine. Der andere glaubte, Gaiupers Oberpriester namens Unass stecke eigentlich dahinter. Denn der verabscheue die Ganduup. Der erste meinte nun, dass die Ganduup ihm auch unheimlich seien. Man wisse nie, was sie eigentlich mit einem vorhätten. Er sei nicht böse, wenn sich die Lager wieder
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