Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
Vom Netzwerk:
sie erwartet hatte: Pechschwarze Muster, einer Schrift ähnlich. Sie erkannte die Buchstaben. Sie wusste sogar, was dort geschrieben stand.
    „ Ist das eine Tätowierung?“, fragte Leslie.
    „ Ja. Die habe ich schon bekommen, als ich ein Kind war.“
    „ Wirklich?“
    „ Sie ist mal blasser und mal dunkler. Morgen ist sie hoffentlich wieder blass.“
    Andere Mädchen betraten die Toilette. Dies war ein Anlass für Leslie, Elsa am Arm Richtung Tür zu ziehen.
    „ Du musst jetzt unbedingt nach Hause gehen oder zu einem Arzt. Wo soll ich dich hinbringen?“
    Elsa knöpfte ihre Bluse wieder zu.
    „ Es geht schon, mach dir keine Mühe, Leslie. Ich nehme die Straßenbahn, die hält gleich bei mir um die Ecke.“
    Und bevor Leslie widersprechen konnte, winkte Elsa, zwang sich zu einem Lächeln und rannte die Treppen hinab Richtung Ausgang. Wasserfälle stürzten draußen zu Boden, die Steinplatten verschwanden unter riesigen Pfützen. Elsa sprang hinüber, so gut sie es vermochte. Als sie die Haltestelle der Straßenbahn erreichte, war sie nass bis auf die Haut.
    Sie machte sich nicht die Mühe, eine Fahrkarte zu kaufen, da gerade die Bahn einfuhr. Im Dämmerlicht dieses dunklen Nachmittages sank sie auf irgendeine Bank im Innern des Wagens und starrte vor sich hin, während die Bahn ruckelte und schepperte und am Kaufhaus vorbeifuhr, in dem Elsa Töpfe verkaufte. Den Fahrkartenkontrolleur bemerkte sie erst, als er vor ihr saß. Es war sinnlos, sich herauszureden, daher schaute sie ihm offen ins Gesicht und wollte gerade ihre Schuld bekennen, als sie verblüfft innehielt. Sie kannte dieses Gesicht! Da sie schon mal dabei war, es zu erkennen, fiel ihr auch ein, dass sie es schon öfter in Istland gesehen hatte. Mal gehörte es einem Würstchenverkäufer, mal einem Kunden im Kaufhaus, dann einem Fahrgast. Nie hatte sie gemerkt, dass es sich jedes Mal um das gleiche Gesicht gehandelt hatte. Das faltige, braune Gesicht mit den leuchtenden Augen. Es war der Stoffhändler, der sie nach Brisa gebracht hatte, und es war Carlos, der Mann, bei dem Nikodemia wohnte. Elsa brachte kein Wort über die Lippen, sondern starrte ihn nur an.
    „ Wie ich befürchtet habe“, sagte Carlos, der für einen Istländer viel zu braun gebrannt war. Die Kontrolleurskappe auf seinem Kopf war ihm auch viel zu groß. „Was ist mit dir passiert? Ein Jahr lang hat es so gut geklappt!“
    Elsa strich sich das Wasser aus dem Gesicht, das die ganze Zeit aus ihren nassen Haaren gelaufen kam.
    „ Ich hatte Sehnsucht“, antwortete sie. „Auf einmal konnte ich nicht mehr aufhören zu träumen. Wie kommst du denn hierher?“
    „ Die ganze Geschichte kann ich dir nicht erzählen, dazu haben wir keine Zeit“, sagte der freundliche, alte Mann. Er flößte Elsa Zuversicht ein, obwohl sie ihn kaum kannte. „Ich bin jedenfalls auch ein Rabe. Ein Altja sogar.“
    „ Ein Altja? Dann kommst du auch von drüben? So wie Nikodemia?“
    „ Ja, wir haben die gleiche Heimat.“
    „ Was genau ist ein Altja?“
    „ Ein Rabe, der dem sogenannten höchsten Kreis der Weisheit angehört. So nennen sie das, obwohl nicht jeder weise ist, der dort mitmischt. Mit den anderen Altjas habe ich mich nicht sehr gut verstanden. Das haben sie zu spät gemerkt und bevor sie mich bekämpfen konnten, bin ich hierhergeflohen. Mehr oder weniger unabsichtlich. Ich kam auch in Sommerhalt an, genauso wie Nikodemia und du. Feuersand muss direkt an der Grenze zur anderen Seite der Welten liegen.“
    Elsa musterte ihren alten Freund. Sie hätte es eigentlich wissen müssen. Seine Augen waren besonders. Dieses Leuchten! Sie hatte doch damals schon gedacht, dass er dem Stoffhändler so ähnlich sah.
    „ Hast du dich die ganze Zeit versteckt und nie verwandelt?“
    „ Nur sehr selten verwandle ich mich und das nur unter größten Sicherheitsvorkehrungen. So wie Nikodemia. Auf den habe ich gut aufgepasst. Leider nicht auf dich. Das tut mir leid.“
    „ Ja, das tut dir leid“, sagte Elsa. „Warum hast du nicht aufgepasst?“
    „ Zuerst habe ich nur Nikodemia gefunden. Nachdem er mir von dir erzählt hatte, habe ich nach dir gesucht. Als ich gefunden hatte, was ich suchte, war es zu spät. Du warst schon gestorben.“
    „ Das weiß ich inzwischen auch.“
    Die Straßenbahn kam mal wieder zu einem abrupten Stillstand. Aus dem Augenwinkel sah Elsa, dass es sich um ihre Haltestelle handelte. Doch sie blieb sitzen.
    „ Wenn man ein Altja ist“, erklärte Carlos, „dann kann man sehr

Weitere Kostenlose Bücher