Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
amüsieren, nicht wahr?“
Elsa wollte sich nicht amüsieren. In nur einem Augenblick hatte sie ihre eigene Haut zurück, ihr schwarzes Haar, ihr blasses Gesicht und die große Nase. Romer hielt die weiße Hand eines dreizehnjährigen Mädchens in der Hand und er ließ sie sofort los. Auf einmal war er stocknüchtern und fast genauso blass wie Elsa.
„ Weißt du eigentlich, wie schrecklich das aussieht?“, fragte er.
„ Was?“, fragte Elsa. „Mein Gesicht?“
„ Die Veränderung“, sagte er. Er sah sie immer noch erschrocken an. „Wenn ein Mensch so plötzlich zu nichts wird oder zu etwas, das ich nicht erkennen kann. Ein blinder Fleck und im gleichen Moment … ist ein anderer da.“
„ Tja, so ist das“, erwiderte Elsa. „Ich wollte es dir erzählen, aber ich hatte den Eindruck, dass du mir gar nicht zuhören möchtest.“
„ Kann sein“, sagte er. „Ich war etwas … beschwingt. Aber das ist vorbei, da kannst du ganz beruhigt sein. Setz dich doch!“
Er zeigte auf den anderen Stuhl und Elsa nahm Platz.
„ Jetzt kannst du’s also“, sagte er. „Anbar wird sich freuen. Ich hoffe, die Möwen wittern es nicht. Sie können ihre Nasen in den Zwischenraum stecken und bekommen dort Dinge mit, von denen wir keine Ahnung haben.“
Das hörte sich nicht gut an. Elsa merkte, wie sie wieder die Angst beschlich.
„ Dieser Zwischenraum – was soll das sein?“
„ Das können wir, pardon, ich und die anderen normalen Menschen, meine ich, wir können uns das nur schwer vorstellen. Es ist ja nicht so, dass die Welten alle am Himmel hängen wie Sterne und es dazwischen einen leeren Raum gibt. So ist es nicht. Aber sie existieren trotzdem alle gleichzeitig und dort, wo sie nicht existieren, ist so eine Art leerer Raum. Den können Raben betreten. Die Möwen können sich auch darin aufhalten. Sie haben es gelernt, sie haben irgendwie eine Ader dafür. Dort fangen sie einen Raben ein, wenn sie ihn einfangen. Verstehst du?“
„ Ich weiß nicht“, sagte Elsa. „Du meinst, es ist etwas, das außerhalb von jeder Welt liegt?“
„ Außerhalb oder dazwischen.“
„ Anbar hat gesagt, dass ich es benutze, wenn ich mich verwandle.“
Romer nickte. „Das hat er vorhin gesagt. War mir auch neu. Aber ich habe ja auch keine Ahnung.“
Nun haderte Romer wieder mit seiner Vergangenheit, Elsa erkannte es an dem trübsinnigen Blick, mit dem er die Tischdecke musterte.
„ Du wärst auch gerne ein Ausgleicher?“, fragte sie.
Romer schüttelte den Kopf.
„ Nein, nein, ich bin ganz zufrieden mit meinem Leben. Es gibt nur so viel, das ich noch aufholen muss. Ich bin ein Anfänger. Zum Beispiel, von einer Welt in die andere zu gehen, das kann ich noch nicht alleine. Ist das nicht erniedrigend? Ich hab es mal auf eigene Faust versucht und bin in einem Urwald gelandet. Glücklicherweise wurde ich beobachtet und man hat mich wieder herausgeholt, sonst würde ich vielleicht heute noch von Tor zu Tor irren. Das ist ärgerlich, denn wenn ich in Antolia aufgewachsen wäre, hätte ich es schon als kleiner Junge gelernt. Ich könnte es im Schlaf, so wie Anbar.“
„ Wie geht es? Was für Tore sind das, die man benutzt?“
„ Es gibt Orte, da berühren sich die Welten. Winzige Lücken sind es, die von hier nach da führen. Man nennt sie Tore. Du trittst über eine Schwelle und kommst auf einer anderen Seite wieder heraus. Allerdings musst du genau wissen, wo du herauskommen willst. Man kann von einem Tor aus überallhin gelangen. Das klingt gut, ist aber auch die große Schwierigkeit. Man kann leicht verloren gehen.“
„ Bin ich durch so ein Tor nach Sommerhalt gekommen?“
„ Ich denke schon. Die Zerfurchten Wiesen in der Nähe von Nadas Schloss sind ein Tor. Man sieht es Toren nicht an, dass sie Tore sind. Aber wer sich mit dem Weltenwechsel auskennt, merkt, dass es dort Lücken gibt, die man nutzen kann.“
„ Gibt es hier in Brisa auch solche Tore?“
„ Ja, ich weiß von drei.“
„ Wo sind sie?“
„ Ich habe erst eins benutzt. Es liegt oberhalb der Stadt, nicht weit vom Haus der Relings. Ein alter Friedhof.“
„ Den kenne ich“, sagte Elsa. „Da bin ich schon mit Sistra gewesen. Könnte ich von dort nach Istland kommen?“
„ Wenn du genau weißt, wo du hinwillst und die Richtung einhalten kannst. Aber das ist schwer. Deine Gedanken oder Gefühle könnten dir einen Streich spielen. Man kommt an die seltsamsten Orte, wenn man ungeübt ist.“
Romer stand auf und goss sich ein Glas Wasser
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