Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
Vom Netzwerk:
die Gestalten herumgingen. Sie hörte auch Geräusche hinter sich, Stimmen, die lauter wurden, und da beeilte sie sich, flog, so schnell sie konnte, zwischen den grauen Lichtern hindurch und machte einen Satz in irgendeine Helligkeit. Die erwies sich als sturmzerzauster Himmel mit einer Windstärke, der sich Elsa gerade nicht gewachsen fühlte. Auf und ab wurde sie geschleudert und ihre Flügel wurden in verschiedene Richtungen gerissen. Zu ihrem Verdruss sah Elsa ganz weit unten eine Steppe an sich vorbeisausen, die überhaupt nicht istländisch aussah. Sie war in der falschen Welt gelandet, in einem Sturm, den sie nicht brauchen konnte. Aber wen interessierte das, nicht mal der Rabe hatte dafür einen Gedanken übrig, er kämpfte gegen den wütenden Himmel an und hatte ansonsten nur noch eines im Sinn: nämlich jagen und satt werden. Da Elsa keine Hoffnung hatte, in diesem Unwetter das Tor wiederzufinden, das sich irgendwo in diesem endlosen Himmel verbergen musste, gab sie dem Raben nach. Ihre menschlichen Gedanken und Ängste lösten sich auf und der Vogel übernahm die Führung. Er ließ sich ein ganzes Stück vom Wind forttragen, dann, in einem ruhigeren Moment, fing er seinen Körper mit den Flügeln auf und fand ins Gleichgewicht zurück. Um den Winden auszuweichen, flog er dicht am Boden der trockenen Steppe dahin, unermüdlich auf der Suche nach leichtsinnigem Kleingetier.

KAPITEL 6
     
    An vieles konnte sich Elsa am nächsten Morgen nicht erinnern. Sie wusste, dass der Rabe geflogen war, bis die Nacht hereinbrach. Dass er auf Gemäuern herumgehüpft war, als der Mond am Himmel stand, und dass er Mäusen aufgelauert hatte. Irgendwann in dieser Nacht musste sich Elsa zurückverwandelt haben, doch sie war so schläfrig gewesen, dass sie sich nur in ein verlassenes Gebäude geschleppt hatte, um dort in die Knie zu gehen und auf dem blanken Boden einzuschlafen. Den Kopf hatte sie auf ihre Arme gebettet und während sie träumte, war es ihr, als ob ihre Arme sich bewegten und sie immer noch flöge. Dann auf einmal stülpte jemand ein unsichtbares Netz über sie und sie strampelte und flatterte dagegen an. Lange wehrte sie sich, bis sie von den Anstrengungen erwachte. Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf ein Paar schwarze Stiefel. Sie glänzten im Licht und jagten Elsa einen Riesenschrecken ein. Langsam schaute sie an den Stiefeln empor und merkte, dass ein überaus komischer Mann sie anstarrte.
    „ Willkommen in Bulgokar“, sagte er.
    Warum Bulgokar? Was war Bulgokar? Doch nicht etwa die Welt, in der Ulissa gefangen saß? Warum war sie hier, wenn sie doch auch nach Istland hätte fliegen können? Ihr Kopf schmerzte und sie spürte noch etwas: Ihre inneren Flügel waren verklebt oder vielmehr gelähmt. Sie konnte sich nicht verwandeln. Jedes Mal, wenn sie es versuchte, stieß sie gegen einen unsichtbaren Widerstand. Sie fasste sich an den Hals. Dort ertastete sie einen schmalen Reif aus Metall. Er wirkte fein und zerbrechlich, aber als sie versuchte, ihn sich vom Hals zu reißen, gab er nicht nach.
    „ Das ist mein Geschenk für dich“, erklärte der Mann in den Stiefeln.
    Elsa sah wieder zu ihm hoch. Er hatte ein seltsames Gesicht. Es ähnelte dem eines Vogels, obwohl es menschlich war. Das mochte an der krummen, scharf geschnittenen Nase liegen oder an dem Oberkiefer, der sich der Nasenspitze entgegenreckte. Die Augen des Mannes lagen ein wenig seitlich am Kopf und hatten eine runde Form. Es waren große schwarze Punkte, umrandet von einer orangeroten Iris. Der Bart des Mannes war geflochten und am unteren Ende zu einer Spitze verklebt, die Elsa an einen Stachel erinnerte.
    „ Ich bin Gaiuper“, sagte er nun, bückte sich und reichte ihr eine Hand.
    Sie wollte sich nicht beim Aufstehen helfen lassen, doch als sie versuchte, auf die Beine zu kommen, merkte sie, dass ihr die Kraft abhanden gekommen war.
    „ Was ist los mit mir?“, fragte sie.
    „ Ich habe mir erlaubt, ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, sagte er. „Raben sind gefährlich. Vor allem, wenn sie noch nicht wissen, was gut für sie ist. Nimm jetzt meine Hand. Wir haben nicht ewig Zeit!“
    „ Wofür?“, fragte sie.
    „ Für die Heimreise“, sagte Gaiuper in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
    Zur Tür kamen in diesem Augenblick zwei Männer herein, von denen sich Elsa lieber nicht anfassen lassen wollte. Daher ergriff sie Gaiupers Hand, wunderte sich kurz über seine langen, spitzen Fingernägel und fühlte

Weitere Kostenlose Bücher