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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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sich schnell emporgezogen. Er führte sie aus dem verlassenen Gemäuer hinaus ins grelle Sonnenlicht. Zuerst war sie geblendet, dann sah sie Geschöpfe, die Vogelköpfe und verstümmelte Flügelarme hatten, was sie sehr erschreckte.
    „ In Bulgokar gibt es Vogelmenschen“, erklärte Gaiuper. „Sie sind eine seltene Erscheinung, es gibt sie in keiner anderen Welt. Mischwesen sind überhaupt sehr selten. Eine Abart der Natur.“
    Er ließ ihre Hand los und ging schnellen Schrittes zu einem Pferd, das für ihn bereit stand.
    „ Ich bin in Eile“, sagte er. „Wir sehen uns heute Abend.“
    Als sie ihn davonreiten sah, zerrte sie mit beiden Händen an dem schmalen Metallreifen, der um ihren Hals lag. Er gab nicht nach, verbog sich nicht einmal. Mit Gaiupers Männern und den Vogelmenschen war nicht zu reden. Sie versuchte es, wollte sie überzeugen, sie laufen zu lassen, doch man schubste sie nur in einen Wagen ohne Fenster und schloss die Tür ab. Es war sehr dunkel um Elsa, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Das Gefängnis war solide. Nachdem sie es auf mögliche Ritzen und Schwachstellen untersucht, aber keine gefunden hatte, legte sie sich auf den Boden und fühlte sich von allen guten Geistern verlassen. Sie musste an Ulissa denken, der man die Haare abgeschnitten hatte. Sie saß wahrscheinlich in irgendeinem Kerker und würde bald Gesellschaft bekommen. Bei der Gelegenheit fiel Elsa der Spion ein, den Anbar erwähnt hatte. Es gab einen in Bulgokar. Es war zwar unsinnig, irgendwelche Hoffnungen in den antolianischen Feind zu setzen, aber sie tat es trotzdem. Nikodemia hatte ihr geraten, sich von der nächsten Klippe zu stürzen, falls die Rabendiener sie erwischten. Sie war nun vollkommen sicher, dass Gaiuper ein solcher Rabendiener war. Aber für die Klippe war sie dann doch nicht verzweifelt genug – selbst wenn eine in erreichbarer Nähe gewesen wäre. Sie starrte in die Schwärze und wartete. Den ganzen Tag wartete sie, ergab sich dem Gerumpel eines Wagens, der über eine schlechte Straße fuhr, und verspürte weder Hunger noch Durst.
    Es musste schon Nacht sein, als sich die Geräusche veränderten. Sie hallten, als ob der Wagen durch einen Tunnel führe. Sehr plötzlich hielt der Wagen an und die Schlösser wurden geöffnet. Elsa stolperte der Helligkeit entgegen und wurde von einem Vogelmenschen aufgefangen, als sie fast aus dem Wagen fiel. Dabei merkte sie, dass die Arme der Vogelmenschen nicht verstümmelt waren, sondern nur sehr kurz. Das Vogelgesicht des Mannes sah sie so merkwürdig an, dass sie für einen Moment alle Furcht vergaß.
    „ Wo bin ich hier?“, fragte sie.
    „ In der Festung“, antwortete er. Die Worte kamen leicht zischend aus seinem schnabelförmigen Mund.
    „ Und was wird mit mir geschehen?“
    Das traurige Schulterzucken des Vogelmannes und die Ratlosigkeit, die in seinen Augen stand, verursachten Elsa ein taubes Gefühl in Armen und Beinen. Sie hatte noch nie Angst um ihr Leben gehabt, noch nie so richtig. Doch jetzt, da sie der Vogelmann zwischen mehrere Männer schob, die sie mit gezogenen Schwertern in einen schmalen Gang drängten, da hatte sie auf einmal Angst, dass sie das Tageslicht nie mehr wiedersehen könnte. Je länger sich die schmalen Gänge hinzogen, desto stärker spürte sie, wie ihre eigene Schwäche sie zu Boden ziehen wollte. Der Reif um ihren Hals machte ihr das Atmen schwer und sie konnte kaum noch nachdenken oder sich auf ihre Umgebung konzentrieren. Sie kämpfte gegen die Erschöpfung an und war schließlich überrascht, als sie in eine festliche Halle geführt wurde. Der Boden des großen Raums war mit roten Teppichen ausgelegt und in seiner Mitte stand ein einzelner, vornehm gedeckter Tisch. Sie sah ein weißes Tischtuch, glänzendes Silber, Gläser aus geschliffenem Kristall, Kerzenleuchter, deren Flammen flackerten. Elsa sah genau hin, so unwirklich kam ihr die Festtafel vor.
    „ Setzen!“, sagte man ihr und sie fiel dankbar auf einen der Stühle, die an den Hallenwänden aufgereiht waren. Bevor sie Gaiuper sah, spürte sie schon, dass er den Raum betrat. Es lag eine Schärfe und Macht in seiner Person, die sie in ihrem Inneren wahrnahm. Sie sah zu ihm hin und bestaunte die Nadelspitze seines Kinnbarts, die aussah, als hätte er sich den ganzen Tag lang nicht vom Fleck gerührt. Gaiuper war eine elegante Erscheinung, die in dieses Zimmer und diesen festlichen Rahmen passte, im Gegensatz zu Elsa, die in ihrer schmutzigen istländischen Kleidung

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