Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
der Wunde, aber tief konnte die Verletzung nicht sein, denn Sistra biss wütend die Zähne aufeinander, als sie den Rest ihres Satzes hervorpresste:
„… ich erwarte zehntausend Mann Verstärkung!“
„ Was ist?“, fragte Gaiuper ungeduldig in Elsas Richtung.
„ Er ist nicht hier!“, antwortete Elsa. Während sie es sagte, wusste sie sicher, dass es so war. Das war auch eine Erklärung dafür, warum der Vogel kein bisschen aufgeregt war, sondern vor sich hinschlummerte. Er war alleine. Irgendwo in diesem Haus.
„ Das kann nicht sein!“, rief jetzt einer der Männer, die Sistra an die Wand drückten. „Als wir sie erwischt haben, wollte sie mit dem Ding unterm Arm wegrennen!“
Elsa schaute noch einmal in den Käfig und dann sah sie Sistra an. Das hätte sie nicht tun sollen, denn nun traf sie der ganze Hass ihrer Augen. Diese Frau würde Elsa zerquetschen, zermalmen, langsam umbringen, wenn sie Elsa jemals in ihre Finger bekäme. Das sagte der Blick und Elsa bekam es mit der Angst zu tun, obwohl ihr Sistra doch bestimmt nicht mehr schaden konnte. Schnell schaute sie wieder zum Käfig und zuckte zusammen, denn in allernächster Nähe, vielleicht im benachbarten Zimmer, erklang ein schriller, langgezogener Schmerzensschrei. Alle horchten stumm und erstarrten. Die erste, die ihre Sprache wiederfand, war Sistra.
„ Sie kommen!“, sagte sie, woraufhin ihr einer der Männer einen Schlag ins Gesicht verpasste.
Das änderte nichts daran, dass sie recht hatte. Alle hörten das Zischen und Bersten, das Schlagen und Knallen, das Keuchen und Brüllen, das plötzlich von allen Seiten kam. Sistra hatte der Schlag schwer zugesetzt, ihr Kopf hing nach vorne, aber sie bewegte sich noch.
„ Wir behalten sie als Geisel“, sagte Gaiuper.
Das war nicht geplant gewesen, dass Sistra die Übernahme des Vogels überlebte, aber da sich die Situation zugespitzt hatte, zog es Gaiuper vor, die Anführerin der Möwen als Ass im Ärmel mit sich herumzuschleifen. Er machte den Männern ein Zeichen, ihm zu folgen. Elsa verstand nicht, wo er hinwollte. Der Salon schien gerade der einzige Ort im Haus zu sein, an dem nicht gekämpft wurde. Doch Gaiuper war nicht zimperlich. Er vertraute darauf, dass ihn seine Leute vom Kampf und von tödlichen Waffen abschirmen würden, ebenso wie Elsa und Sistra.
Elsa warf noch einen letzten Blick auf den Käfig. Als die falschen Priester mit den Gabeln gegen die Käfigstangen gehauen hatten, hatte es metallisch geklungen. Aber wie konnte das sein, wenn der Käfig nur ein Trugbild war? Sie streckte ihre Finger aus, griff nach den Käfigstäben und zog ihre Hand gleich darauf mit einem leisen Schmerzensschrei wieder zurück. Da waren Stangen, aber sie brannten wie Feuer.
„ Los!“, hörte sie Gaiuper rufen.
Sie starrte immer noch den Käfig an. War er nun da oder war er nicht da?
In dem Moment gab es einen lauten Knall und Elsa flogen Kieselsteine um die Ohren. Es fühlte sich an wie Kieselsteine, doch als sie schützend die Arme hob, konnte sie sehen, dass das, was um sie herumflog, eher Staub ähnelte. Es war ein Stück einer pulverisierten Wand. Sie konnte außerdem sehen, dass der Käfig – oder sein Ebenbild – heftig hin und her wackelte, die Stäbe zitterten und der Vogel erschrocken aufflog, obwohl dort, wo er stand, gar nicht viel passiert war. Aus reiner Neugier drehte sich Elsa um. Sie sah ein Loch in der Wand und Kampfgetümmel dahinter. Weiter links sah sie eine Truhe, in der normalerweise Geschirr aufbewahrt wurde. Die Kraft der Explosion hatte das schwere Möbelstück ein Stück weit in den Raum hineingeschoben und die Seitenwand in Stücke gerissen.
Es ging alles sehr schnell und es passierte vieles auf einmal: Gaiupers Soldaten wollten Elsa in ihre Mitte drängen, durch das Loch in der Wand kamen zwei verletzte Rabendiener gestolpert, verfolgt von Möwen, die etwas Ähnliches wie Armbrüste in den Armen vor sich hertrugen. Sistra startete einen Fluchtversuch, kam aber nicht weit und wurde zu Boden gerungen, und von der Zimmerdecke fiel ganz plötzlich etwas Brennendes herab. Halb wurde Elsa in Richtung der Truhe gedrängt, halb setzte sie ihren Willen durch, als sie aus der Marschrichtung ihrer Schutztruppe ausscherte und den Deckel der Truhe aufriss, ohne über die Folgen nachzudenken. Sie wollte nur wissen, ob es stimmte – und das tat es. Auf dem Boden der Truhe stand der Käfig, ebenso zur Hälfte mit einem Tuch abgedeckt wie sein Abbild auf dem Tisch. Weil sie
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