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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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fünfzehn Menschen kauerten hier unten mit ihr und schienen zu warten. Etwas Dickes, Feuchtes war um Elsas Brust gewickelt worden, eine Art Verband. Sie spürte einen starken, ziehenden Schmerz im Bereich der Schulter und ihr Kopf brummte. Eine einzige Fackel flackerte weiter weg, wo einer der Wartenden saß und Ausschau hielt.
    Lange Zeit passierte gar nichts. Elsa ertrug die Schmerzen und fragte sich, wann und ob dieser seltsame Tag jemals enden würde. Ein wenig erfreut war sie darüber, dass Gaiuper sich verrechnet hatte. Die Möwen waren längst nicht so schwach, wie er vermutet hatte, und selbst wenn es den Rabendienern gelänge, nach Bulgokar zurückzukehren, müsste Gaiuper seine Pläne ändern. Das war lustig, ein bisschen zumindest, doch Elsa war klar, dass es sie nicht weiterbrachte. Ob nun diejenigen, die sie in einen Käfig sperren wollten, stärker waren als die anderen, die sie mit einem Reif und Erpressungen zu bösen Taten zwangen – was machte das schon für einen Unterschied?
    Je länger sie hier saß, desto deutlicher erkannte sie ihre Umgebung. Sie befanden sich tatsächlich in einem unterirdischen Kanal und das Wasser zu Elsas Füßen floss schnell. Ab und zu gluckste es komisch. Elsa versuchte, nicht an Ratten und andere Tiere zu denken, die normalerweise in Kanälen zu Hause waren. In Istland war sie einmal von einer Ratte gebissen worden. Der Biss hatte sich entzündet und sie musste für eine Woche ins Krankenhaus nach Rosenrink. Der Arzt, der sie damals behandelt hatte, war sehr freundlich gewesen. Er hatte sich nicht vor ihren Augen gefürchtet. Als Elsa ihrer Mutter Puja davon erzählte, meinte diese, dass Ärzte ja des Öfteren mit dem Tod rangen, wenn sie versuchten, einem Patienten das Leben zu retten. Wer es gewohnt sei, mit dem Tod zu ringen und ihm etwas wegzunehmen, der könne auch in dunkle Augen sehen, die so uferlos seien wie die andere Seite des Lebens. Elsa versank in diese Erinnerung, dachte an ihre Mutter Puja und ihre sanfte Stimme. Dabei fühlte sie sich so wohl und geborgen, hier unten im Kanal, mit oder ohne Ratten, dass sie die Augen schloss und angelehnt an einen fremden Mann wieder einschlief.
    Sie wurde wach, als jener Mann sie anstieß und flüsterte:
    „ Es geht los! Immer dicht zusammen bleiben!“
    Elsa fiel es schwer, auf die Beine zu kommen oder vielmehr auf alle Viere. Sie mussten einen nassen Steg entlangkriechen, der dem Geräusch nach über einen unterirdischen Wasserfall führte. Es gab keine Fackel mehr, Elsa kroch komplett im Dunkeln, einem unbekannten Ziel entgegen. Als sie endlich ins Freie stolperten, war es Nacht und der Mond stand am Himmel. Draußen warteten noch andere Menschen, alles Rabensoldaten dem Anschein nach, wenn sie auch längst nicht mehr so gefährlich aussahen wie noch am Morgen. Verletzt waren die meisten, zerfetzte Kleidung trugen sie alle.
    „ Folgt mir“, sagte einer, der jetzt das Sagen hatte.
    Elsa hatte ihn noch nie gesehen. Sie befanden sich in der Nähe von Häusern und einem Fluss. Erst nachdem Elsa durch etliche Gassen gegangen war, erkannte sie das Matrosenviertel wieder. Es sah so anders aus, mitten in der Nacht. Es war laut, klingend und bunt. Orange leuchteten die Laternen und es roch nach allerlei Kräutern, die man rauchen konnte. Schließlich entdeckte Elsa den „Umgekippten Eimer“. Auch wenn Musik aus dem Inneren dröhnte und vor der Tür ein paar Aufpasser standen, die es mit einem Rabensoldaten hätten aufnehmen können, so war es doch das gleiche kleine Gasthaus mit den vielen Scheiben, direkt am Großmarkt der Fischer, das sie im Winter vor einem Jahr besucht hatte. Unter einem Fenster, an die Wand gelehnt, saß eine der Frauen, von denen Leimsel erzählt hatte. Sie saß dort in einem Kleid mit zahllosen Unterröcken, das Gesicht weiß geschminkt. Sie trug einen Männerhut auf ihren goldenen, stark gelockten Haaren, und in ihrem Mund steckte eine Pfeife. Sie starrte in die Schatten, gedankenverloren an ihrer Pfeife ziehend.
    Elsa beneidete sie. Dafür, dass sie einfach hier sitzen konnte, mitten in der Nacht, während ein paar überflüssige Bösewichte durch die Straßen marschierten. Für einen ganz kurzen Moment erwog Elsa die Flucht. Doch abgesehen davon, dass Gaiuper geschworen hatte, sie überall zu finden, war sie auch noch verletzt, trug einen lästigen Reif um den Hals und wäre den Rabensoldaten, mit denen sie hier unterwegs war, weit unterlegen gewesen. Zudem hatte sie in dieser Nacht einen

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