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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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schnell fertig werden. War das alles, was Sistra zu bieten hatte? Wenn das so weiterging, würden sie bis zum Mittagessen wieder zu Hause sein.
    Das hörte Elsa sich selbst denken, so nüchtern, dass es sie verwunderte. Es war wohl mit ihr passiert, als der eine Mensch aus dem Fenster gesprungen und verschwunden war. Sie hatte die Luft angehalten – und nach einer Weile beschlossen, wieder auszuatmen. Mit dieser Luft hatte sie ihre Schoßhunde in den dunklen Morgen hinausgepustet. Ihre Gefühle waren wie weggeblasen und so beobachtete sie nun, ganz Teggas Schülerin, das Geschehen mit kaltem, beruhigten Herzen.
    Langsam ging die Sonne auf. So langsam wie immer, doch mit dem gewohnten umwerfenden Effekt: Goldenes Licht kroch wie das erste Leben über die kahlen Baumkronen der letzten noch stehenden Bäume. Oben das Sonnenlicht und ein milchiger Himmel. Unten Krieg und Flammen und aufgewühlte Erde. Die Bäume brannten, glühten und rauchten und aus den Fenstern warfen die Rabenkrieger tote Menschen, einen nach dem anderen, bis wohl keiner mehr übrig war und jemand eine kleine Version des schwarzen Rabenbanners auf dem höchsten Balkon errichtete.
    „ Gehen wir“, sagte Gaiuper auf dieses Zeichen hin.
    Elsa folgte ihm, ohne Erwartungen. Ihre Schoßhunde waren wohl doch noch da, denn sie jaulten kurz auf, als Elsa das Haus betrat. Sie sah Blut und vor allem roch sie es, es war überall. Es bedeckte Treppen und Flure und Wände und Gesichter. Das zerhackte Treppengeländer, ein Schrei aus einem der oberen Flure und ein Rabensoldat, der auf dem Boden saß und sich stöhnend ein unkenntlich gewordenes Bein abbinden ließ, konnten Elsa nicht kalt lassen. Es machte sie benommen. Sie stolperte hinter Gaiuper her und kletterte über mehrere Tote, eigene und fremde Leute, wobei das für Elsa keinen großen Unterschied machte. Sie waren eben tot, diese Menschen, und sie schaute lieber nicht so genau hin, sondern schielte an Gaiuper vorbei in Richtung Salon, in dessen Flügeltüren sich verirrte Sonnenstrahlen spiegelten. Es war dumm und unsinnig, aber irgendwie hatte sie die Hoffnung, sie käme in diesen großen, sonnigen Raum und alles wäre wieder wie früher. Natürlich konnte das nicht so sein, aber das Licht, das sie schon von Weitem sah, hatte etwas trügerisch Beruhigendes. Als es dann soweit war und Elsa hinter Gaiuper in das weiträumige Zimmer trat, in dem sie mit Sistra immer gefrühstückt hatte, da war die Einrichtung eindeutig ruiniert und die Herrin des Hauses stand an der Schwelle des Todes. Anders konnte man es nicht bezeichnen, denn Sistra wurde von mehreren Männern gegen die Wand gedrückt und ein Schwindel erregend spitzer Speer bohrte sich fast schon in ihren Hals. Aus Sistras Gesicht war alle Farbe gewichen, die losen Strähnen ihres roten Haars klebten schweißnass an ihrer Haut. Sie konnte sich nicht bewegen, sie war wie festgeschraubt und Elsa hatte nicht das geringste bisschen Hoffnung, dass Sistra diesen Morgen überleben würde.
    Auf dem Tisch, mitten im zerschlagenen Geschirr, stand der Käfig mit dem Raben darin. Er war in Eile dort abgestellt worden, ein Tuch verdeckte ihn halb. Der Rabe hockte auf dem Käfigboden, er hatte sich aufgeplustert und das Chaos um ihn herum interessierte ihn überhaupt nicht. Der Käfig wurde schon begutachtet und untersucht. Zwei Männer, die in Bulgokar als Priester durchgingen, machten allerlei Hokuspokus, fuhren mit den Händen um den Käfig herum und berührten ihn mit Gabeln, ohne ihn selbst anzufassen.
    „ Traut euch doch!“, rief Sistra, die Stimme so kalt wie ihre Augen. „Fasst ihn an, wenn ihr ihn unbedingt haben wollt!“
    Die Priester wollten nicht. Gaiuper machte Elsa ein Zeichen. Ihr war mulmig zumute, denn sie wusste nicht, wovor die falschen Priester so viel Angst hatten. Andererseits war es nur ein Käfig. Sie ging zum Tisch, streckte ihre Arme aus und bemerkte, dass sich die Käfigstäbe bewegten, noch bevor sie sie berührt hatte. Sie flackerten leicht, als wären sie ein Trugbild. Sie gaben nur vor, dort zu sein, wo man sie sah. In Wirklichkeit waren sie woanders.
    „ Wie viele seid ihr?“, fragte Sistra in herablassendem Ton, als wäre ihr Hals nicht kurz davor, durchbohrt zu werden. „Achthundert? Tausend? Ein Witz ist das! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ihr hier wieder rauskommt? Die Tore werden gerade dicht gemacht und ich …“
    „ Still!“, rief einer und stach ihr tatsächlich in den Hals. Sie würgte kurz, Blut schoss aus

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