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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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außen. Sie war erschöpft und fand keinen Mut. Es fehlte ihr an Kraft, einen Fluchtweg zu ersinnen, etwas zu tun oder etwas zu wollen. Sie wusste, die Tore rund um Brisa waren von Möwen besetzt, vermutlich aber nicht nur die, sondern auch alle anderen in Sommerhalt. Gaiupers Heer würde in spätestens einem Tag hier ankommen, um sie zu holen, und in der Stadt wimmelte es von Ausgleichern und Möwen, die nach ihr suchten. Sie würden nichts unversucht lassen, um sie unschädlich zu machen. Doch gerade war ihr das fast gleichgültig. Sollten sie doch. Weil sie nicht anders konnte, würde sie gegen ihr Ende kämpfen, aber vermutlich nicht gewinnen. Die Frage war, welches Ende sie im Zweifelsfall anstreben sollte: einen Platz im Käfig, das Verfahren der Antolianer oder einen schlichten Tod, der sie in ihr nächstes Leben als Gejagte befördern würde?
    Bevor sie diesen ekelhaft riechenden Ort verließ, musste sie ihren Gestank loswerden. Sicher war es möglich, den Schmutz und das stinkende Wasser durch Verwandlungen zu beseitigen, nur dieses Können stand ihr nicht zur Verfügung, schon gar nicht jetzt. Sollte sie jemals erholt an einen sicheren Ort gelangen, müsste sie üben, die Erscheinungen zu ändern und die Welten ohne Tore zu verlassen und zu betreten. Bisher hing es von lebensgefährlichen Zufällen ab, ob es ihr gelang oder was ihr überhaupt gelang. Von Zufällen und ihrer Stimmung. Ihre Stimmung war aber gerade so miserabel, dass die Kloake wie eine zweite Haut an ihr klebte.
    Die Sterne verblassten, der Himmel war grau vom ersten Licht. Alles tat Elsa weh, als sie sich erhob. Der Panzer des Käfers musste einige Schläge abbekommen haben, die sich jetzt bemerkbar machten, und auch dort, wo Edon sie festgehalten hatte, spürte sie blaue Flecken. Wie eine alte Frau, mit gebeugtem Rücken, sich die Seite haltend, schlich sie über die Wiese am Rand des Beckens. Mäuse im Gras piepsten und flohen vor ihren Schritten. Wenn sie sich genügend erholt hätte, beschloss sie nun, würde sie ein Rabe werden und fortfliegen. Ganz gleich, wohin. Fliegen war schön, nur gerade war sie zu schwer und zu müde dazu. Sie betrat das Gebäude, das zu den Abwasserbecken gehörte, ein hübsches Haus mit verspielt geformten Dächern und Fenstern. Sie ging langsam an einem sehr erstaunten Nachtwächter vorüber, der sich nicht rührte, und trat durch eine hohe Pforte hinaus auf die Straße. Nicht weit von sich hörte sie den Fluss rauschen. Als sie sein befestigtes Ufer fand, erkannte sie, dass sie in der Ebene angekommen war, dort, wo sich auch das Matrosenviertel und der alte Hafen befanden.
    Gleich musste sie an die Frau denken, die vorm Umgekippten Eimer ihre Pfeife geraucht hatte. Jetzt, in den frühen Morgenstunden, würde es wahrscheinlich still sein in dem Vergnügungsviertel. Vielleicht waren Carlos und Nikodemia schon schlafen gegangen oder sie putzten noch die Gaststube. Sie beschloss, dort nachzusehen. Vielleicht wären die beiden so freundlich, ihr eine Schüssel mit Waschwasser anzubieten. Ihr Köper gewöhnte sich allmählich wieder ans Gehen, die Schmerzen wurden schwächer. Der Fluss rauschte neben dem Uferweg, niemand war auf der Straße. Es war noch angenehm kühl an diesem Morgen eines Tages, der sicher wieder sehr warm werden würde. Elsa schlenderte. Nach den Aufregungen der Nacht war dies die reinste, süßeste Erholung. Ein Spaziergang in der Morgendämmerung. Nur eine Katze kam ihr entgegen, ein schwarzes Tier, das aus den Schatten kam und in die Schatten flüchtete.
    Als sie die ersten Häuser des Matrosenviertels erreichte, war dort mehr los, als sie erwartet hatte. Hier schwankte ein Pärchen durch die Straße, dort stand eine Gruppe beisammen und tauschte lauthals Meinungen aus, ein Mann schlief mitten auf der Straße und zwei alte Damen gingen eingehakt vor Elsa her. Sie kicherten einander zu. Niemand hier schien ordentlich oder normal zu sein. So erreichte Elsa den Großmarkt, ohne Aufsehen zu erregen.
    Im Umgekippten Eimer brannte Licht. Es fiel durch die trüben Fensterscheiben auf die schwarzen Pflastersteine der Straße. Über den Dächern wurde der Himmel langsam hellblau. Obwohl noch Leute im Gasthaus saßen, würfelnd, redend, schlafend, zögerte Elsa nicht. Sie trat durch die offene Tür ins stickige, warme Innere des Umgekippten Eimers und ging geradewegs auf die Theke zu, an der Carlos an einem Wintertag vor drei Jahren die Gläser poliert hatte. Sie erreichte die Theke nicht. Jemand

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