Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
hoffte Elsa auch, zumindest wünschte sie dem Kutscher nichts Böses, war sie doch selbst so eine, die Gott nicht fallen ließ, zumindest noch nicht, auch wenn einige Angehörige des Haushalts glaubten, lange könne es nicht mehr dauern. Während Helgis ihre liebe neue Freundin in den höchsten Tönen pries, waren sich Köchin und Waschfrau darin einig, dass es mit dem armen Ding kein gutes Ende nehmen werde. Das Mädchen gab sich zwar Mühe, aber auf Dauer werde sie nicht tüchtig genug sein, um ein anständiges Leben zu führen.
„Es täte mich nicht wundern“, erklärte die Köchin der Waschfrau laut vernehmbar, „wenn sie eines Morgens auf und davon wäre! Nicht dass ich’s mir wünsche. Wär schade um das Kind. Aber sie hat’s in den Augen. Da drin ist was, das hat keinen Grund.“
Elsa hielt es auch für wahrscheinlich, dass sie eines Tages auf und davon wäre, aber es geschah nicht am selben Tag, nicht am nächsten Tag und auch nicht in der nächsten Woche. Sie war zu schnell ein Teil dieses Haushalts geworden, alles ergab sich von alleine und war in gewissem Maße unterhaltsam. In der Vorstellung, irgendwo wieder ganz von vorne anzufangen, lag dagegen wenig Reiz. Außerdem hätte ihr Helgis gefehlt. Helgis und ihr unerschütterlicher Glaube daran, dass alles gut war.
„Oh, was hast du da?“, fragte Helgis, als sie zum ersten Mal Elsas Stein leuchten sah. Elsa hatte das vertraute Stück in Migralls Kleid vorgefunden, gleich nach ihrem Sturz vom Himmel auf die Erde. Manchmal holte sie den Stein hervor und schaute ihn an. Er gehörte zu ihr und würde es immer tun.
„Ist das ein Stück vom Mond?“, fragte Helgis.
„Nicht dass ich wüsste.“
„Aber er leuchtet genauso. Der Mond ist bestimmt auch so ein Stein, nur größer. Woher hast du ihn?“
„Gefunden.“
„Wo findet man so was?“
„Im Wald. Er muss schon sehr tief und sehr dunkel sein, der Wald. In gewissem Sinne.“
„Du kommst auch aus dem Wald, nicht wahr? Die Herrin sagte, du seist ein Findelkind.“
„Ja, und was für eins! Ich war ganz plötzlich da und bin nie von jemandem geboren worden.“
„Oh nein!“, rief Helgis und gluckste vor Lachen, „das kannst du mir nicht erzählen! Jeder Mensch wird geboren.“
„Kann sein. Aber bei mir ist es so lange her, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Mehrere tausend Jahre werden es wohl sein.“
„Was dir immer einfällt! Im Ernst, Migrall, denkst du nie darüber nach, wer deine Eltern sein könnten?“
„Meine Ziehmutter glaubt, dass mein Vater ein Wüstling war, der meine Mutter verführt oder überfallen hat, je nachdem, ob sie schamlos gewesen ist oder nicht. Jedenfalls hielten es Mutter und Vater für übertrieben, sich mit einem Andenken an ihre Begegnung zu belasten. Also wurde ich in einem Wolltuch an einen Baum gehängt, mitten in den Sommerregen, und als mich meine Ziehmutter fand, da war ich so nass wie ein Fisch.“
„Und wenn sie dich nicht gefunden hätte?“
„So etwas lässt dein Gott nicht zu, oder Helgis?“
„Nein, ich hoffe nicht. Sonst wärst du gleich zu ihm in den Himmel gekommen.“
„Als Tochter eines Wüstlings?“
„Dafür kannst du ja nichts. Außerdem muss es ja nicht so sein, wie deine Ziehmutter sagt. Vielleicht bist du das Kind feiner Leute. Du könntest entführt worden sein! Eine verrückte Frau, die nicht wusste, was sie tat, hat dich deinen Eltern gestohlen und im Wald an einen Baum gebunden. Vielleicht finden dich deine Eltern eines Tages und holen dich nach Hause!“
„Stellst du dir das schön vor?“, fragte Elsa. „Was hätte ich mit diesen Menschen zu tun? Nein, mit seinem Zuhause muss man vertraut sein, sonst ist es keins. Im besten Fall trägt man es mit sich herum. Wenigstens einen Teil davon.“
„Darf ich ihn mal in die Hand nehmen?“
Helgis betrachtete den Aeiol von allen Seiten und ließ sich erklären, dass er leuchtete, wenn man ihn erwärmte, und wie ein normaler, heller Stein aussah, wenn er kalt war.
„Das ist dein Glücksbringer“, sag te Helgis. „Er hat dich hierher gebracht.“
Elsa konnte es nicht vermeiden, an denjenigen zu denken, der ihr den Stein geschenkt hatte. Zwei Glücksbringer hatte sie ihn gekostet. Sie hoffte, dass er noch einen dritten besaß oder wenigstens genug Glück, um unversehrt aus all den brennenden Ecken und Enden herauszukommen, um die er sich zu kümmern hatte. Hier, in dem Land, in dem sich Elsa befand, ging es so friedlich zu, dass der Kriegszustand in
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