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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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gestorben. Der Zeitpunkt der Einnahme sprach dafür, dass Agnes es geschluckt hatte, nachdem sie abgestürzt war und alleine im Treppenhaus lag, während Ulissa Hilfe holte.
    Agnes war die einzige, die Ulissas Giftversteck kannte und wusste, wie man das mehrfach gesicherte Kästchen öffnete. Sie muss sich heimlich eine der blauen Pillen genommen und sie mit sich herumgetragen haben. Vielleicht war sie so unglücklich, dass sie nicht mehr leben wollte. Vielleicht dachte sie aber auch, dass sie ihr eigenes Universum wiedersehen würde, wenn sie stirbt und ein neues Leben beginnt. Ulissa hat unter Tränen zugegeben, dass sie mit Agnes Pläne geschmiedet hat, wie Agnes wieder nach Hause kommen könnte. Sie hat immer wieder betont, es sei ganz bestimmt nur ein Spiel gewesen. Wir haben nicht verstanden, was uns Ulissa damit sagen wollte, denn dass ihre Freundin ein Rabe war, das hat sie uns verschwiegen. Aus heutiger Sicht ist alles klar: Ulissa hat dem Mädchen erzählt, dass der Tod es heimbringen wird. Natürlich hat Ulissa nicht damit gerechnet, dass Agnes diese Idee so schnell in die Tat umsetzen würde. Sterben und heimkehren kann man schließlich auch als alte Frau. Aber Agnes hatte es eilig. Sehr eilig. Warum, das kannst nur du wissen.“
    Elsa war es, als sprächen sie über eine Fremde. Denn das Gift kam in ihren Erinnerungen nicht vor. Nichts davon.
    „Lass es auf dich wirken“, sagte er und drehte sie sanft herum, um sein Werk zu vollenden.
    Völlig in Gedanken und auf der Suche nach den verlorenen Erinnerungen ging Elsa ins Wasser zurück und wurde dort, kaum dass ihr das Wasser bis an die Hüfte reichte, ein Fisch. Es ist einfach besser, ein Fisch zu sein, wenn man über sich selbst verwundert ist. Ein Fisch denkt nicht viel und auch in seinem Hinterkopf ist nicht viel Platz für Fragen. Elsa war schon immer gerne ein Fisch gewesen, vor allem, wenn das Sonnenlicht so unter Wasser flackerte und man leicht und schnell hindurchgleiten konnte. Es beruhigte sie sehr, das Schwimmen. Als sie wieder auftauchte, ganz Mensch, da befand sie sich mitten im See über der tiefgrünsten Stelle und sah, wie ein feiner Dunst vom See aufstieg und in der goldenen Luft verschwand. Umgeben von dieser Schönheit konnte Elsa nicht der Vergangenheit nachhängen. Vor allem, als ein nasser Antolianer neben ihr auftauchte. Sie hätte ihm gerne geraten, immer so triefend vor Nässe herumzulaufen, weil es ihm gut stand, aber ließ es dann besser bleiben. Stattdessen missbrauchte sie ihn als Boje. Sie konnte sich wunderbar an ihm festhalten.
    „Wir wären nicht hier, wenn sie kein Gift geschluckt hätte“, sagte sie.
    „Wir wären hier“, erwiderte er, „aber du wärst blond.“
    Elsa dachte kurz darüber nach.
    „Wäre der Tod im Bergwerk auch blond gewesen?“
    „Ja“, sagte er und nahm sie mitten im See über der tiefgrünsten Stelle in seine Arme, um sie zu küssen. Das gefiel Elsa. Die Sonne näherte sich unbarmherzig den Bäumen, trotzdem war es ein Moment für die Ewigkeit.

KAPITEL 40
     
    Vielleicht lag es an der Nacht, die irgendwann kam, oder daran, dass sie Anbar so viel erzählen musste von Istland und ihrem Leben und den Welten, in denen sie gewesen war. Unliebsame Gedanken schummelten sich in ihr Glück und sie musste sie aussprechen.
    „Diese Welten, die vom Tellerrand stürzen“, sagte sie, „was passiert mit denen?“
    Im See spiegelten sich die Sterne. Das Gras am Ufer, in dem sie lagen, wurde allmählich kühl und feucht.
    „Sie leiden unter Kriegen, Krankheiten und Naturkatastrophen. Vor allem greift eine große Angst um sich, die dazu führt, dass sich die Menschen gegenseitig zerfleischen. Die Einzelheiten zähle ich dir lieber nicht auf.“
    „Aber ist es dann nicht falsch?“, fragte sie, sich tiefer in seine Arme drückend. „Ist es dann nicht grundfalsch, was du getan hast und immer noch tust? Wenn ich damals verschwunden wäre, mit dreizehn, und Niko immer versteckt geblieben wäre und Morawena bis an ihr Lebensende im Käfig gesessen hätte – dann würde jetzt keine einzige Welt vom Tellerrand rutschen. Ihr müsstet Antolia nicht räumen. Niemand müsste wegen der Ganduup sterben oder leiden. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass ein Rabenleben all das wert ist? Natürlich freue ich mich, dass ich hier bin, aber von außen betrachtet …“
    „Dann musst du es aber auch richtig von außen betrachten. Nicht von Istland aus, nicht von Sommerhalt aus und auch nicht von Antolia

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