Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Schreckliches.“
„Ja, es war schrecklich. Antolianische Kinder kennen fast keine Übelkeit. Wenn ihnen mal schlecht ist, dann kommt gleich ein Arzt und lässt dieses ungute Gefühl verschwinden. In Brisa war mir drei Tage lang schlecht und außer meiner Tante fand das niemand besonders schlimm. Aber mittlerweile kann ich Fleisch verdauen, wenn es sein muss.“
„Fisch auch?“, fragte Elsa vorsichtig.
Hier drehte er sich um.
„Fisch hat einen Geruch, der nicht dazu einlädt, ihn zu essen. Außerdem hat er Augen. Ich weiß nicht, wie man etwas essen kann, das mal Augen gehabt hat.“
„Aber du kannst mir dabei zusehen, wie ich etwas esse, das mal Augen gehabt hat?“
„Ja. So selten, wie ich dich zu Gesicht bekomme, könntest du auch Blut trinken und ich würde dir fasziniert dabei zusehen.“
Er ging weiter und Elsa war sich unschlüssig, ob sie das als Kompliment nehmen sollte. Wenn er sie nun täglich sähe, würde ihre Strahlkraft ausreichen, um ihn Fischgeruch oder den Anblick von Würstchen vergessen zu lassen? Wahrscheinlich nicht. Sie holte zur nächsten Frage aus:
„Du wohnst immer noch bei deinen Eltern?“
Der Ton, in dem sie das fragte, veranlasste ihn zu einem weiteren Blick zurück.
„Im gleichen Haus. Du hast vermutlich nicht die geringste Vorstellung davon, wie groß dieses Haus ist. Eine istländische Stadt hätte gut darin Platz. Aber es ist zum größten Teil unbewohnt und labyrinthisch. In Antolia glaubt man an den richtigen Ort. Man braucht viel Platz, um diesen richtigen Ort zu finden. Wenn ich von meinen Räumen zu den Räumen gehe, in denen sich meine Familie trifft, dann bin ich mindestens zehn Minuten lang unterwegs.“
„Du übertreibst.“
„Nein, das ist so. Rund um mich herum gibt es nur verlassene Gänge und Zimmer. Mit einer Ausnahme: Meine kleinste Schwester hat ein Lieblingsfenster und sie wollte unbedingt in dem Raum wohnen, zu dem das Lieblingsfenster gehört, obwohl das eine zweihundert Jahre alte Küche ist. Ich muss von mir aus nur um vier Ecken gehen, dann bin ich bei ihr. Wenn zwei Menschen ihre richtigen Orte in unmittelbarer Nachbarschaft finden, dann heißt das in der Regel, dass sie sich sehr gut leiden können. Das ist bei Entalis und mir so. Aber ich habe ihr das Versprechen abgenommen, dass sie auszieht, wenn sie mal einen Mann heiratet, den ich nicht ausstehen kann.“
„Wie alt ist deine kleinste Schwester?“
„So alt wie du. Ein Jahr älter.“
„Was ist, wenn du eine Frau heiratest, die sie nicht ausstehen kann?“
„Dann hat sich Pech gehabt. Ich war zuerst da.“
„Glaubst du, sie könnte mich ausstehen?“
„Ich glaube, sie weiß gar nicht, was Abneigung ist. Wenn man sie gern hat, hat sie einen auch gern, und sie ist ein Mensch, den jeder gern hat, zumindest in Antolia. Nicht mal Ulissa hat es geschafft, Entalis gegen sich aufzubringen. Dabei hat sie sich alle Mühe gegeben.“
„Konnte Ulissa deine kleinste Schwester nicht leiden?“
„Sie konnte mit Entalis nichts anfangen. Hätte sie Entalis abgelehnt, wäre das schon eine Art Wertschätzung gewesen. Aber sie hatte keine Lust auf Entalis und das hat sie sich deutlich anmerken anlassen.“
„Dann wundert es mich, dass sie etwas mit mir anfangen konnte. Mit Agnes, meine ich.“
„Damals war Ulissa noch ein Kind. Mit acht Jahren war sie umgänglicher als mit sechzehn. In Antolia hatte sie eine ganz schlimme Phase. Größenwahnsinnig war sie und streitsüchtig. Ihre Ansichten waren grenzwertig. Ich wusste aber nie, ob sie den Blödsinn, den sie redet, ernst meint, oder ob sie mich damit gezielt auf die Palme bringen wollte, was ihr gut gelungen ist. Ich war mir irgendwann sicher, dass sie es nur darauf anlegt, meine Nerven zu ruinieren, und habe daraufhin den letzten Rest Freundlichkeit ihr gegenüber eingestellt. Das war wahrscheinlich ein Fehler. Ich hätte im Gegenteil meinen Einfluss auf sie nutzen sollen, um sie von ihren dummen Ideen abzubringen, die sie tatsächlich gehabt haben muss. Sonst wäre sie nicht von Antolia nach Bulgokar spaziert, und das auch noch mit der armen Amandis im Schlepptau. Es grenzt an Wahnsinn und ich frage mich bis heute, was sie sich dabei gedacht hat. Aber es ist kein Schaden, dass Entalis und Ulissa keine dicken Freundinnen geworden sind, denn das ist ja bekanntlich lebensgefährlich.“
„Wieso lebensgefährlich?“
„Das fragst du mich?“
Er war erstaunt, Elsa sah ihn verständnislos an.
„Du meinst, es war lebensgefährlich,
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