Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
zog seiner Frau den Pfeil aus dem Fleisch, sie aber war tödlich vergiftet. Bolhin sah, wie sie in den Armen ihres Mannes starb, der ihr unter Tränen versprach, er werde sie wiederfinden in ihrem nächsten Leben. Ganz gleich, wo sie wäre und wer sie wäre. Mit dieser Hoffnung in ihren Augen erstarb ihr Blick. Doch der Regent konnte sein Versprechen nicht halten. Denn kaum war die Frau des Regenten tot, zerbrach der Frieden und mit ihm die ganze Stadt. Das gewaltige Erdbeben, das alles auseinanderriss, trennte auch die Liebenden für die Ewigkeit, denn wo immer der Regent in den späteren Jahren nach seiner Frau suchte, er fand sie nicht mehr. Sie war ihm entrissen worden, über Zeit und Raum hinaus.
Was mit Bolhin geschah, nachdem die Erde zerbarst, konnte Elsa nicht nachlesen, denn hier hatte Gaiuper zugeschlagen. Ungefähr zwanzig Buchseiten fehlten. Aus Gaiupers Gedanken wusste Elsa, dass Bolhin vom letzten schwarzen Rebellen gerettet worden war. Danach musste Bolhin in eine Kolonie der Grauen gelangt sein, zumindest befand er sich dort, als Elsa weiterlas. In der Kolonie hatten sich viele Überlebende versammelt, um eine neue, große Stadt zu gründen, als Ersatz für die verlorene Wüstenstadt. In den ersten Jahren baute Bolhin fleißig mit und erfreute sich am Wachstum des neuen prächtigen Reiches. Irgendwann aber zog es ihn erneut aufs Meer hinaus. Er wollte wieder ferne Welten entdecken und Abenteuer erleben. Dies brachte ihn an viele Orte, doch vor allem zu der Erkenntnis, dass er sich verändert hatte. Er war nicht mehr der Gleiche wie früher, denn egal, wie weit er hinausfuhr und sich treiben ließ, wie groß sein Schiff war und die Segel, die ihn forttrugen, er ging nie verloren, sondern kehrte immer wieder zu den Grauen zurück. Er fand fremdartige Länder, einsame Inseln, seltsame Tiere und Pflanzen. Aber kein Wunder war groß und seltsam genug, um ihn der neuen Heimat zu entreißen. Als er sehr alt war, setzte er sich zur Ruhe. Er hatte ein Zimmer in einem hohen Turm über der neuen Stadt. Da pflegte er zu sitzen und hinaus in den Sonnenschein zu sehen.
Von Zeit zu Zeit, wenn er durch die Stadt spazierte, besonders des Abends, sah er den ehemaligen Regenten. In einfachem Gewand mit wachem Blick schritt er durch die Straßen. In seinen Augen brannte ein Feuer, das nichts und niemand zu löschen vermochte. Es brannte Löcher in Raum und Zeit auf der Suche nach dem Unauffindbaren. Man sagte, der Mann könne durch die Dinge hindurchsehen, hinein in ihr unsichtbares Herz. Bolhin aber hielt es nicht wie die anderen Leute, die dem Regenten Respekt zollten, indem sie Abstand von ihm hielten. Bolhin versäumte es nie, den Regenten zu grüßen und mit ihm ein paar Worte über das Wetter, den Wein oder das Alter zu wechseln. Manchmal sprachen sie über die Regentin. Sie war eine kluge und umsichtige Frau, die ihren Vater sehr liebte und ihrer ermordeten Mutter sehr ähnlich sah.
Eines Tages begann Bolhin zu schreiben. Er schrieb auf, was er in seinem Leben erlebt hatte. Es wurde eine lange Geschichte und viele, denen er sie zum Lesen gab, behaupteten, man hätte sie unterhaltsamer gestalten können. Bolhin störte das nicht. Er war über die Jahre ein gelassener Mann geworden. Er hielt alles fest, was ihm wichtig war, nur eine Sache, so gestand er, musste er aussparen. Denn schreibend konnte er nicht von seinem Ende erzählen. Der Tod würde unausgesprochen bleiben, sodass der Leser den Eindruck gewinnen musste, dass Bolhin immer noch lebte. Irgendwo, in irgendeiner Welt im behaglichen Licht einer wärmenden Sonne.
KAPITEL 48
Selbst jetzt hatte der Zwischenraum ein Gesicht. Er zeigte sich in Gestalt eines nächtlichen Gartens, als Elsa ihn betrat. Es war ein Garten, wie man ihn sich schöner nicht hätte vorstellen können, doch lag eine unheimliche Stille über ihm. Die hohen Bäume zu beiden Seiten der Wiese, die Elsa auf einem schmalen Pfad durchschritt, bewegten ihre Zweige lautlos. Die Blätter wogten im Licht eines falschen Mondes im nicht fühlbaren Wind auf und ab, ohne zu rascheln. Kreuz und quer, doch immer im rechten Winkel abbiegend führte ein Pfad an Bäumen mit silbriger Rinde entlang, dann durch wilde Gärten voller Blumen und Dornengebüsch, dann wieder durch weiträumige Prachtgärten mit viereckigen Beeten und Brunnen, deren Fontänen sich stumm in dunkelblaue Wasserbecken ergossen. Elsa spürte es, wie der Zwischenraum ihr seine letzten Worte zuflüsterte. Sie waren so bedeutsam,
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