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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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Gesamtheit ließ sie alles Feste und Irdische hinter sich und fiel in die unendliche Freiheit, schwarz in schwarz wie ein in Zeitlupe explodierendes, alles Licht verschluckendes Feuerwerk.
    Da war sie jetzt und wusste nicht, was mit ihr passierte. Sie wusste nur, dass es ihr gut ging. Dann entzog sich der letzte Zipfel ihrer Existenz dem Tor, das sie soeben durchschritten hatte, und im gleichen Moment, da sie sich vollkommen vom Irdischen gelöst hatte, hörte das Irdische auf. Plopp, weg war es. Einfach fort, alles weg. Carlos hatte es vorausgesehen, jetzt war es eingetreten. Das Universum war leer, nur machte der Begriff von Leere keinen Sinn mehr, da die Leerheit voraussetzte, dass etwas voll sein konnte. Das Universum war also weder leer noch voll, doch angefüllt von Sein. Das Feste, Formbare, Endliche gehörte einer Vergangenheit an, die es nicht mehr gab. Zeit, das war an diesem Ort etwas anderes. Es gab keine verblichenen Fotos mehr und keine Menschen, die sie anguckten und von damals sprachen. Was einmal gewesen war, hatte seine Bedeutung verloren.
    War es dunkel? Elsa hatte keine Ahnung. Hell oder dunkel, das spielte keine Rolle mehr. Es gab auch kein Voran in diesem neuen Zustand und doch legte Elsa, die nicht mehr Elsa hieß, darin einen Weg zurück, indem sie sich ausbreitete. Sie erfasste die Schönheit des Nichts, ertastete oder erschmeckte die Sterne in ihren möglichen Ausformungen, ohne dass es jemals Sterne gab oder eine Zunge oder Fingerspitzen, die all das hätten tun können. Eine neue Art von Sein lag vor ihr, in ihr und um sie herum. Wäre sie noch ein Mensch gewesen, so hätte sie diesen Zustand mit dem eines Kindes verglichen, das entdeckt, wie groß, wie verrückt und wie unendlich die Welt ist. Ein Kind, das in Aufregung gerät, weil es sich ausmalt, wie das Leben, eine unendliche Tüte, prall gefüllt mit schönen Aufregungen, darauf wartet, gelebt zu werden.
    Wäre Elsa noch ein Mensch gewesen und hätte sie es Puja und Wenslaf erklären wollen, so hätte sie die beiden daran erinnert, wie damals der Lastwagen aus Chippa angekommen war. Elsa und ihre Eltern hatten neugierig zugesehen, wie der Lastwagenfahrer die Heckklappe öffnete. Dann waren sie in den riesigen, finsteren Laderaum geklettert und hatten Düfte gerochen, die ihnen völlig unbekannt gewesen waren. Paket für Paket hatten sie ausgeladen und jedes einzelne war wundersam und fremd gewesen. Die siebenjährige Elsa hatte Wenslaf beim Auspacken geholfen und war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Noch lange träumte sie von dieser Lastwagenladung und wünschte sich das gleiche Erlebnis noch einmal. Doch es kam nie wieder. Lastwagen fuhren heran und fuhren wieder ab, manche sogar mit Paketen aus Chippa, doch keine Fracht war wie damals, keine war so neu und so anders und so einmalig. Denn es war nie wieder das gleiche Erlebnis, es war nie wieder so ein unerwartetes Wunder. Und so wandelte Elsa nun gleichsam durch einen grenzenlosen Laderaum voller Versprechungen, eine exotische, unbekannte Dunkelheit, die nicht duftete, doch wie ein Duft war, den es vorher noch nie gegeben hatte.
    Wäre Elsa noch ein Mensch gewesen und hätte sie versucht, ihren Zustand zu beschreiben, so hätte sie viele Worte gefunden. Für jeden Menschen andere. Sie hätte der achtjährigen Ulissa erklärt, dass sie ein Gift eingenommen hatte, das lebendig statt tot macht. Amandis hätte sie von einem Tagebuch vorgeschwärmt, in dem das Glück zwischen ungeschriebenen Zeilen schlummerte, ungejagt von einem Gestern, niemals verführt von einem Morgen. Elsa hätte Sinhine von einer Tapferkeit erzählt, die darin bestand, dass man völlig unabgelenkt existierte. Kein Gedanke, kein Bild, kein Gegenstand, kein Wunsch und keine Sorge lenkten vom Dasein ab. Da zu sein war alles, was man hier tun konnte. Wäre ihr Nikodemia in die Quere gekommen, so hätte sie ihm klar zu machen versucht, dass es einen ewigen Zwischenraum gab. Einen, der Wirklichkeit war und alles andere als Unwirklichkeit abtat. Ein Zwischenraum, in dem Nikodemia seinen Verstand nicht verlieren, sondern finden würde. Morawena hätte sie erzählt, dass man auch ohne Flügel fliegen konnte. Carlos hätte sie von der ewigen Jugend vorgeschwärmt, die darin bestand, dass man nichts war und nichts besaß, das hätte altern können. Kamark hätte sie verraten, dass sie dort war, wo alle Filme herkamen. Auch die mit den Raumschiffen. Dem Rabendichter hätte sie erklärt, dass sie aufgehört hatte,

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