Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
eine Frage zu sein. Sie war jetzt Antwort. Und nicht mal das, denn die Frage, die sie einmal gewesen war, die gab es nicht mehr. Wäre sie dem Schöpfer begegnet, so hätte sie es nicht für nötig gehalten, Worte mit ihm zu wechseln. Stattdessen hätte sie mit ihm über einen unausgesprochenen Witz gelacht. Gerade war sie überzeugt davon, dass er genau solche Witze am lustigsten fand. Zu Anbar hätte sie nur eines gesagt, nämlich dass er recht gehabt hatte. Das Nichts in ihren Augen war ein Etwas. Jetzt wusste sie es.
All das konnte sie aber gar nicht sagen oder erklären oder wenigstens denken. Denn sie hatte keine Wörter mehr, keine Bilder und keine Erinnerungen. Vor allem hatte sie niemanden mehr, der ihr zuhörte, denn es gab niemanden mehr, der außerhalb von ihr war. Vermutlich war es das, was sie am Ende störte. Oder was sie vermisste. Jedenfalls war sie nicht unendlich zufrieden. In ihrer Beunruhigung dehnte sie sich nach allen Richtungen aus. Sie war nicht allein. Es gab vieles hier, aber es war nicht auszumachen, ob das Viele ein Teil von ihr oder sie selbst ein Teil von dem Vielen war. Auch die Ganduup existierten hier, doch geheimnislos, konnte Elsa doch spüren, was sie spürten. Je mehr sich Elsa ausbreitete, suchend, desto weniger fand sie, was sie finden wollte. Sie ahnte, dass es ihr nur darum ging, auf der Suche zu sein. Dass sie stolpern wollte, dass sie ausgeschlossen sein wollte, dass sie etwas berühren wollte. Aber kein Widerstand tat sich auf, kein Gegenüber war auszumachen.
Sie wollte sich nicht geschlagen geben und breitete sich weiter aus, nicht nur räumlich, sondern auch durch die Zeit. Hinaus, weit fort, in alle Richtungen. Und so kam es, dass sie sich auch rückwärts bewegte, gleichzeitig mit allen anderen Richtungen, und plötzlich etwas aufblitzen sah. Ihre Existenz, der Zipfel ihrer selbst, der in etwas steckte. In einem Tor. Im letzten Tor, in einer wirklich und wahrhaftig existierenden Vergangenheit!
Das Wunder, einer Vergangenheit an diesem Ort begegnet zu sein, versetzte Elsa in Begeisterung. Weiter in diese Richtung traute sie sich, bis sie das Vorhandensein unzähliger Welten im Irgendwo ganz deutlich spüren konnte. In der sicheren Ahnung, das hier zu finden wäre, was sie haben wollte, drehte sie sich um und schaute: Univers en, vergänglich und pulsierend, bevölkerten das Sinn gebende Nichts. Elsa betrachtete das Spektakel mit allen Sinnen, erfasste es, ließ nicht los. Noch einmal zog sie den letzten Zipfel ihrer Existenz aus dem letzten Tor, bis sie frei war, doch rückwärtsgewandt blieb ihr Bl ick. Nichts konnte vergehen, so lange sie darauf schaute, und so blieben die Welten, wo sie waren, nachdem sich Elsa von ihnen gelöst hatte.
Es war verwirrend genug, dass sie alle Welten gleichzeitig wahrnehmen konnte. Was sie aber besonders erstaunte, war eine Disharmonie , die den Vielklang der Univers en durchzog. Wie ein Bruch, ein Sprung, ein Riss zog sie sich durch die Gesamtheit aller Welten und teilte sie in zwei Hälften, die gegeneinander verschoben waren. In ihrer Art, in ihrem Takt, in ihrem Lied verstanden die beiden Seiten einander nicht mehr. Dort, wo der Bruch seinen Ursprung hatte, befand sich eine Welt, die aus ihrer Fassung gesprungen war. Natürlich gab es keine Welt, die wie ein Edelstein in einem goldenen Schmuckstück saß, aber in gewisser Weise hatte diese Welt mal einen festen Platz gehabt und den hatte sie verlassen. Wenn jede Welt einen Herzschlag hatte, der vollkommen ihrem Wesen entsprach, so war diese Welt aus dem Takt gekommen. Der Grund dafür war offensichtlich: Die Welt war erschüttert worden und hatte Schaden genommen. Bruchstücke von ihr flogen überall herum, ein großes Stück Erde irrte sogar auf der anderen Seite des geteilten Universums umher, spukend, verlassen und von der Zeit unberührt. Dort, wo die kaputte Welt verletzt worden war, klaffte ein Loch. Es war von anderer Beschaffenheit als alles andere inne rhalb und außerhalb der Univers en. Waren die Welten in ihrer Eigenart wie Musik, so war das Loch tonlose Stille. Nicht die Stille zwischen zwei Tönen, die selbst Musik ist, sondern eine Stille jenseits aller Musik. Elsa kannte das Loch. Es war das letzte Tor, durch das sie an den ortlosen Ort gelangt war.
Elsa empfand eine große Liebe und Hochachtung für all die zerbrechlichen Welten. Sie alle waren irgendwann einmal aus dem Meer der Unendlichkeit aufgetaucht, als Gestalt gewordene Möglichkeiten. Und sie waren
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