Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
leisten“, sagte sie und wollte an Edon vorbei in Richtung Tür gehen, doch sie hatte noch nicht mal einen Schritt gemacht, da hatte er sie schon wieder am Arm gepackt. Sie schleuderte seine Hand ärgerlich von sich, doch im gleichen Moment bereute sie es: Eine Falle klappte zu, sie schnappte nach Luft. Es fühlte sich so sehr nach Käfig an, nach Gefangenschaft, nach dumpfer Nacht ohne Ausweg, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie sich genug erholt hatte, um einen Blick in den Zwischenraum zu werfen. Ihr ganzer Arm war mit Möwenfäden umwickelt. Gleichzeitig hielt Edon ihr rechtes Handgelenk eisern umschlossen. Es hatte so viel Kraft, dass sie ihm die Hand nicht entziehen konnte.
„Setz dich wieder“, sagte er. „Ein bisschen Zeit hast du doch bestimmt noch.“
Elsa atmete schnell und heftig. Warum war sie nicht geflohen, als sie noch Gelegenheit dazu gehabt hatte? Sie hätte sich im allerersten Moment in einen Vogel oder eine Maus verwandeln und flüchten sollen, so schnell sie konnte. Doch ob sie es geschafft hätte, wusste sie nicht.
„Beantworte meine Fragen und ich werde nicht länger unhöflich sein“, sagte er. Seine Pfeife hatte er beiseite gelegt und sein Birra rührte er auch nicht mehr an.
Elsa überlegte, ob sie laut um Hilfe schreien sollte. Doch die Kundschaft des Eimers sah nicht gerade so aus, als ob sie Jungfrauen in Not zu Hilfe eilen würde. Wahrscheinlicher war, dass Berth einen blöden Scherz machen würde, über den alle lachten, und sie dann aus der Kneipe schleifen würde. Es bestand die Gefahr, dass er sie zum nächsten Tor brachte. Das musste sie unter allen Umständen verhindern. Vielleicht genügte es ja, gut zu lügen, aber sie hatte ihre Zweifel. Langsam setzte sie sich wieder auf ihre Bank.
„Ich weiß nicht viel. Ich renne immer nur davon.“
„Wer hat dich aus dem Käfig geholt?“, fragte er. „Das wirst du ja wohl wissen.“
„Ich habe nichts mitbekommen. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, ein Jahr lang im Stockdunkeln in einem Käfig zu hocken? Ich war am Ende, als ich wieder rauskam. Ich hab nichts mehr gesehen, nichts mehr gehört, konnte nicht mehr sprechen. Wochenlang. Keine Ahnung, wer mich dort abgeliefert hat, wo ich wieder zu mir gekommen bin.“
„Erzähl mir keine Geschichten! Waren es Sistras Möwen?“
„Sistra? Die hat mich eingesperrt, warum sollte sie mich wieder rausholen? Darauf hätte ich jetzt nicht getippt.“
„Sag mir, dass es Sistra war, und ich lasse dich gehen.“
„Dann müsste ich lügen.“
Elsa schielte in den Zwischenraum und erkannte mit Schrecken, dass sich Berths Fäden immer weiter in Richtung ihrer Schulter verdichteten. Was sollte das? Was konnte sie dagegen tun?
„Warum kommst du mir mit Sistra?“, fragte sie. „Ich dachte, die hätte nichts mehr zu sagen.“
„Wer hat das behauptet?“
„Gaiuper“, antwortete Elsa, ohne zu wissen, ob die Antwort Sinn machte. „Er sagte, die Methode mit dem Käfig sei aus der Mode gekommen.“
„Ich sag dir was, Kleine: Ich bin mir da nicht so sicher. Deswegen hast du auch gute Karten, dass ich dich nicht mitnehme und an meine Leute ausliefere. Ich hoffe, du erkennst meinen guten Willen an. Ich will von dir nur wissen, ob man Sistra noch trauen kann. Es gibt viele Leute, die befürchten, dass sie ihre Schwester laufen lassen würde statt sie einzusperren.“
„Ich weiß nicht, ob sie ihre Schwester einsperren würde. Aber bei mir hätte sie keine Skrupel. Ich werde ihr bestimmt aus dem Weg gehen.“
„Wenn das so ist, was machst du dann hier? Sommerhalt ist Sistras Gebiet, das weißt du ja wohl?“
„Ich bin auf der Durchreise. Sogar Geschöpfe wie ich haben Freunde und die wollte ich ein letztes Mal sehen.“
„Von mir aus musst du nicht verschwinden“, sagte Berth in einem weichen Tonfall, der Elsa nicht gefiel. „Ich gehöre zum alten Schlag, ich glaube an die Geschichten von Kundrien. Deswegen habe ich Achtung vor euch Raben. Vielleicht habt ihr ja einen Sinn und Zweck, von dem keiner was weiß? Ein Käfig ist eine gute Methode, einen Raben zu kontrollieren. Aber vielleicht kann man auch Freundschaft mit ihm schließen? Zusammenarbeiten?“
Elsa wünschte, sie hätte ein Messer im Stiefel, das sie mit der linken Hand erreichen könnte. Sollte sie jemals frei kommen, musste sie sich eins zulegen. Sie hätte es Berth in die Hand stechen können und er hätte sie loslassen müssen. Auf dem Tisch war weit und breit kein
Weitere Kostenlose Bücher