Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
entzündeten Ausschlag oder eine Krankheit – es war von roten Punkten mit gelben Schatten übersät. Ihr dunkelrotes Haar hatte sie streng zurückgesteckt, wie es Sistra gerne tat. Abgesehen von den roten Punkten war sie sehr bleich. Sie starrte Elsa an, als diese sich der Tür näherte, ohne eine sichtliche Gefühlsregung. Bei Sistra war das anders. Kaum hatte Elsa zwei Schritte in den Raum getan, sprang sie auf. Elsa blieb stehen wie erstarrt. Sistra war eine Person, die regelmäßig in ihren Alpträumen vorkam. Gleich prüfte Elsa den Zwischenraum: ein Gespinst von feinsten Fäden spielte um Sistras Hände und Arme, doch sie waren nicht auf ein Ziel gerichtet. So sah Sistra wahrscheinlich immer aus. Dennoch wagte sich Elsa keinen Schritt näher heran an die Feindin.
„Komm ruhig zu uns, Elsa“, sagte Sistra. „Ich könnte mich jetzt bei dir entschuldigen, aber du fändest das wahrscheinlich lächerlich. Es würde nichts wieder gut machen. Ich kann dir nur versprechen, dass du jetzt nichts von mir und meinen Möwen zu befürchten hast.“
Das sagte sie fest, den Blick offen auf Elsa gerichtet. Wieder fühlte sich Elsa an Anbar erinnert, nur dass Sistra einen härteren Eindruck machte. Sie würde rücksichtsloser handeln gegen sich und andere, wenn sie es für notwendig hielt, als er es jemals fertig bringen würde. Darin ähnelte Sistra solchen Leuten wie Gaiuper, die für ihre Überzeugung bereit waren, alle Gefühle zu leugnen, ohne Ausnahme. Doch gerade hatte Sistra keine Überzeugung, sie wandelte im vieldeutigen Niemandsland und das bereitete ihr großes Unbehagen. Trotzdem enthielt sie sich tapfer jeder Festlegung. In diesem Zustand, in dem sie sich befand, durften die Gefühle in den Vordergrund treten. Sie hatte sogar ein Gefühl Elsa gegenüber. Es war eine Mischung aus Mitleid, Reue und Neugier. All das las Elsa aus Sistras offenem Blick. Sie selbst konnte nichts sagen, ihr Hals war wie zugewachsen, es mussten die Erinnerungen an die dunkle Zeit im Keller sein, die ihr jedes Wort aus dem Mund stahlen. Damals hatte sie auch nicht sprechen können, nur krächzen. Also schwieg sie und nickte nur kurz. Dann ging sie in großem Bogen um den Tisch herum, um neben Nikodemia auf der gegenüberliegenden Seite zu stehen. Sie wollte Sistra nicht näher kommen als notwendig. Amandis war unterdessen in das Zimmer getreten wie ein Sonnenstrahl.
„Sieht sie Ulissa nicht unglaublich ähnlich?“, fragte Amandis und stellte eine Kanne auf dem Teewagen ab.
Elsa wusste nicht, wen Amandis angesprochen hatte – Sistra oder Morawena – doch es war sowieso Nikodemia, der antwortete.
„So wie ein kluger Schuh einem dummen Schuh ähneln kann“, sagte er. „Es ist nicht das Gleiche.“
Es war völlig klar, wer mit dem dummen Schuh gemeint war.
„Ulissa war raffiniert“, sagte Sistra, „aber nicht klug genug, um ihren siebzehnten Geburtstag zu erleben.“
„Elsa ist auch nicht schlecht im Sterben“, erklärte Nikodemia. „Sie kommt nur immer wieder zurück, wie man sieht. Diese Chance hätte Ulissa auch gerne gehabt.“
„Dann wollte sie ein Rabe werden?“, fragte Sistra.
„Sie hätte nichts dagegen gehabt“, sagte Nikodemia.
Sistra starrte ihn an, verärgert und kühl.
„Wollte sie das wirklich?“, fragte Elsa. „Hatte sie Pläne?“
Nikodemia schob das große Papier vor seiner Nase hin und her. Sistras Blick, der unverändert auf ihm ruhte, war ihm sichtlich unangenehm. Elsa verstand das. Sie kannte diese Sorte Blick nur zu gut.
„Sie hatte jede Menge Pläne. Jeden Tag einen anderen.“
Morawena stand auf und kam zu ihnen an den Tisch.
„Die Glückliche“, sagte sie mit einer tief klingenden Stimme, die vergessen ließ, wie kränklich sie gerade aussah. „Seit ich denken kann, versuche ich, jedem Plan auszuweichen. Das Gegenteil muss Spaß machen.“
„Sie ist tot!“, sagte Nikodemia gereizt. „Nicht glücklich!“
„Das ist Ansichtssache“, sagte Morawena ungerührt. „Ich würde gerne mit ihr tauschen.“
Morawena war nicht größer als Elsa. Sie sah es, als Morawena direkt neben ihr stand. Dabei war sie ihr immer größer vorgekommen. Das musste an Morawenas Ausstrahlung liegen. Sie wirkte so unerschütterlich wie eine Statue auf einem Podest. Wie jemand, dem der Lauf der Zeit nicht viel anhaben kann. Glücklich oder unglücklich, sie würde sich vor niemandem beugen.
„Zurück zu unseren eigenen Plänen“, sagte Sistra und zeigte wieder auf das große Papier. „Dort, wo
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