Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
sagt, für in Gold gegossene Wahrheit hält.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das tut.“
„Kannst du nicht? Ich schon. Du bist doch mittlerweile ein erwachsenes Mädchen, Elsa. Du weißt doch bestimmt, wie Liebe funktioniert! Wenn man sie wirklich erleben will, dann muss man sich ihr überlassen, sich hingeben, eintauchen, Hals über Kopf! Man muss sich verlieren! Hoffnungslos, bedingungslos! Sonst ist es nur eine halbe Sache, sonst ist es lauwarm und man könnte es genauso gut auch gleich lassen. Leidenschaft, wahre Leidenschaft, kennt kein Wenn und Aber! Verstehst du das?“
„Ich verstehe, wie du es meinst.“
„Aber Anbar, den du lieber in deiner Nähe hättest als mich, der ist das personifizierte Wenn und Aber. Er kann sich nicht verlieren. Er würde es hassen, das zu tun. Weil er immer, immer die Kontrolle über alles haben muss. Wenn einer so denkt, dann ist es kein Wunder, dass er seiner Cousine die komplett falschen Ratschläge gibt. Er warnt sie, er flüstert ihr Bedenken ein, er hindert sie daran, die wahre Leidenschaft zu erleben. Sie soll nicht den Kopf verlieren, bloß nicht aufhören, Fragen zu stellen. Mich bedingungslos lieben? Niemals. Es könnte sie ja den Verstand kosten!“
Elsa sah mit Bedauern, dass das Tablett leer war. Sie nahm die Creme-Schälchen und leckte sie mit den Fingern leer.
„Was heißt das genau?“, fragte sie. „Warst du ihr nun treu oder nicht?“
„Es ist doch gar nicht möglich, jemanden zu hintergehen, den man liebt! Weil man alles, was man als Liebender tut, ehrlich tut. Die Bedeutung der Liebe ist nicht abhängig von Regeln oder Versprechen oder Taten. Treu ist man mit dem Herzen und nur damit!“
Elsa fragte sich, ob sie eine Antwort bekommen hatte oder nicht.
„Bleiben wir bei den Fakten“, sage sie. „Du warst in Amandis verknallt, sie war in dich verknallt. Aber irgendwann wurde es dir zu langweilig, du bist abgehauen und …“
„Hat er das behauptet?“
„So habe ich es in Erinnerung.“
„Ich bin nicht abgehauen. Ich bin ein freier Mensch, ich brauche ab und zu etwas Luft zum Atmen. Also bin ich eine Woche woanders gewesen. Das wird ja wohl noch erlaubt sein! Als ich zurückkam, war sie ganz anders als vorher. Weil ihr jemand eingeflüstert hat, ich würde mich anderweitig amüsieren.“
„Was du aber gar nicht getan hast.“
„Du willst Fakten?“, fragte er. „Die sollst du haben! Amandis ist nicht gerade einfach. Die macht sich sehr viele Gedanken über ihre Jungfräulichkeit und ihr Cousin trägt nicht gerade dazu bei, dass sie sie leichtfertiger loswird. Glaubst du, ich halte drei Wochen lang Händchen, solche Händchen! – ohne allmählich den Verstand zu verlieren? Da ist es doch besser, ich bin mal zwischendurch weg und tue Dinge, die mit dem Herzen nichts zu tun haben, um dann wieder bei meiner wahren Liebe zu sein und Geduld aufzubringen. Geduld, die sie nicht belohnt hat! Was wiederum das Werk ihres Herrn Cousin ist, denn sie musste ihn ja unbedingt fragen, ob sie es tun soll oder nicht!“
„Er hat gesagt, sie soll es lassen?“
„Das wäre wenigstens ehrlich gewesen. Nein, er meinte, das Opfer müsse sie schon bringen, denn er sähe keinen anderen Weg, wie sie mich ein für allemal in die Flucht schlagen könne.“
„Das hat er gesagt? Woher weißt du das?“
„Sie hat es mir wortwörtlich erzählt. Natürlich hat es sie darin bestärkt zu zaudern, genauso wie er es beabsichtigt hatte. Manchmal hatte ich sie soweit, dass sie alles um sich herum vergessen hat, dass sie bereit war, mit mir zusammen unterzugehen und dann, im allerletzten Moment, hat sie mich doch wieder weggeschoben und mir ihre lästigen Fragen gestellt, für die ich sie hätte ohrfeigen können. Ob ich sie denn wirklich liebe, ob ich immer bei ihr bleiben wolle, ob sie bestimmt die Einzige für mich sei und so weiter und so fort. Da vergeht es einem. Kannst du dir das vorstellen?“
„Ist sie denn die Einzige für dich? Oder vielleicht die Wichtigste?“
„Woher soll ich das wissen? Ich hatte nie Gelegenheit, es herauszufinden. Unsere Liebe war immer unvollkommen. Vielleicht hätte uns die Leidenschaft für immer und ewig auf ihren Flügeln mit sich fortgetragen. Aber da es keine Leidenschaft gab, sondern nur Diskussionen und Tränen und Vorwürfe, weiß ich es nicht. Ich weiß es beim besten Willen nicht. Ich weiß nur, dass sie mich nicht loslässt. Das Ganze geht jetzt schon drei Jahre. Vor einem Jahr hat sie gesagt, sie will
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