Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Du müsstest nur ab und zu wie Amandis aussehen, das würde mir schon reichen. Vielleicht bist du überhaupt die einzige Frau für mich, weil du viele Frauen sein kannst. Es würde immer atemberaubend und aufregend bleiben!“
„Gut, ich werde Anbar fragen, ob ich mich darauf einlassen soll. Aber erst, wenn ich ihn das nächste Mal sehe, was vermutlich nie sein wird. Ich fürchte, er wird es mir ausreden wollen.“
„Du willst mich gar nicht ernst nehmen!“, beschwerte er sich, doch es klang jetzt, als habe er sowieso nur Spaß gemacht. „Du bist feiger, als ich gedacht hatte.“
Es war nicht schwer, das Ganze als Scherz abzutun, obwohl sich Elsa nicht sicher war, wie er es denn nun gemeint hatte. Aber sie nahm an, dass Romer in seiner besten Disziplin zu ehrgeizig war, um nicht wenigstens einen halbherzigen Versuch zu starten, sie zu erobern. Obwohl er so gerne den Kopf hängen ließ, schien er ihre abweisende Haltung nicht schmerzhaft zu finden, was sie beruhigte. Weil es zu viel gab, was sie gerne wissen wollte, kam auch kein peinliches Schweigen auf.
„Du warst doch in Antolia“, sagte sie. „Du musst mir erzählen, wie es dort ist. Ausführlicher als das letzte Mal! Wie sieht es dort aus? Wie sind die Antolianer?“
„Wie es dort aussieht, kann man sich nur vorstellen, wenn man es gesehen hat. Altertümlich irgendwie, ein bisschen wie das antike Istrian, nur grüner, waldiger. Es ist aber auch schlicht und schnörkellos und erschreckend, weil ständig etwas passiert, womit ich nicht rechne. Ihre Technik ist so lautlos und ausgefeilt, dass sie mir am Anfang wie Zauberei vorkam. Sie haben sich das Prinzip der Tore irgendwie zunutze gemacht, sodass man an einem Ende der Stadt zu einer bestimmten Tür reingehen kann und am anderen Ende zu einer anderen Tür wieder herauskommt, was sehr praktisch ist, da diese Stadt Ausmaße hat, die man in drei Wochen nicht durchwandern könnte.
Das ist überhaupt das erschlagende Merkmal von Antolia: Alles ist riesig, die Ausmaße der Gebäude sind kaum fassbar. Wälder, Flüsse, Parkanlagen – man findet sie auf jeder Ebene der Stadt. Alles ist alt. Natürlich werden hier und da neue Häuser gebaut, aber im Großen und Ganzen steht diese Stadt seit Tausenden von Jahren so da. Manchmal, wenn ich über einen durchsichtigen Boden gehe und mich frage, wo das viele Tageslicht herkommt, und plötzlich Bilder über die Wand flimmern sehe, die ich gar nicht sortieren kann, von denen ich aber weiß, dass sie die jüngste Ratssitzung abbilden, dann denke ich, ich bin in der Zukunft. Trotzdem ist alles alt. Das kriegt man gar nicht in den Kopf hinein, am Anfang. Aber ich hab mich dran gewöhnt. An ganz vieles. Aber nicht an die Antolianer und ihre verkorkste, seltsame Kultur. Die sind über die Jahrtausende ganz schön irre geworden, wenn du mich fragst. Ein bisschen zu viel Frieden, anders kann ich mir die Auswüchse nicht erklären.“
„Was für Auswüchse?“
„Na, zum Beispiel … ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das, was sie Kunst nennen. Ich bin ja kein Kind von Traurigkeit, aber was ich da manchmal an den Wänden gesehen habe, das hat mir die Schamesröte ins Gesicht getrieben! Antolianische Kinder müssen gar nicht aufgeklärt werden, die sehen schon als Dreijährige, wie es funktioniert und das auf jede erdenkliche Weise. Da kennen die in Antolia gar nichts, nackte Männer und Frauen aus Marmor, Stein und Holz, auf Wände gepinselt, in Mosaiken verewigt oder in Bewegung, flimmernd auf ihren makellosen, uralten Wänden – Liebe, wohin das Auge schaut. Und das in einer Kultur, deren Sitten fast jede Art von Vergnügung vor der Ehe verbieten. Das ist die schlimmste Form von Doppelmoral, die ich kenne, zumal Anbar offen zugibt, dass sowieso jeder macht, was er will, nur eben heimlich. Was bitteschön, frage ich dann, soll daran überlegen sein? Ist das die Krönung der menschlichen Kultur? Ja, natürlich, er ist vollkommen überzeugt davon. So wie Antolia die beste Essenskultur, die beste Baukultur, die beste moralische Kultur und was weiß ich nicht alles hat, hat es natürlich auch die ausgefeilteste Liebeskultur, die man sich denken kann. Jeder weiß Bescheid, wie es geht, aber alles, was nicht im Rahmen einer offiziellen Zweierbeziehung stattfindet, ist verboten. Nicht richtig verboten, aber gesellschaftlich ein bisschen geächtet. So bleibt es interessant für alle Beteiligten, denn laut Anbar wollen die Leute ja nicht alles in den Schoß geworfen
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