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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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Höhle sehr angenehm war. Weich. Nicht so ein kaltes, blendendes Licht, wie man es in einer istländischen Forschungshöhle erwartet hätte. Dieses Licht war warm. Unter anderen Umständen hätte man es gemütlich nennen können. Ihr fiel der Stein in der Tasche ihres Kleides ein. Er war gerade gut verschnürt, genauso wie sie. Ob sie ihn finden würden, wenn alles vorbei war? Und was würden sie dann denken?
    Sie kniete, doch es war sehr unbequem, da auch ihre Beine zusammengebunden waren. Sie versuchte, das Gewicht von einem Bein aufs andere zu verlagern. Dabei beobachtete sie das Hin und Her in der Höhle. Sie hörte, wie jemand fragte: „Seid ihr soweit?“
    Und die Wissenschaftler-Frau antwortete:
    „Noch nicht ganz.“
    Noch nicht ganz. Als Elsa das hörte, wurde es in ihrem Kopf sehr ruhig. Richtig still, obwohl die Geschäftigkeit rund um sie herum nicht abnahm. Trotzdem war da Stille. Die Stille der Klarheit. Es war doch so: Sobald die Noch-nicht-ganz-Schonfrist abgelaufen wäre, würde etwas mit ihr stattfinden, das sie für immer tötete. Sie würde aufhören zu sein. Es war nicht vorstellbar und doch: Es war gewiss. Zwangsläufig fielen ihr Wenslaf und Puja ein. Die würde sie nie mehr wiedersehen. Sie hätte sie sowieso nie mehr wiedergesehen, aber jetzt war es etwas anderes. Vielleicht würden die beiden – nach den Regeln von Geburt und Tod – sogar eine Nachricht erhalten, dass ihre Tochter in Suaz oder wo auch immer gestorben war. Das würde schlimm für sie sein. Dafür bliebe Istland von den Ganduup verschont, denn es gab ja keinen Grund, warum sie Elsas Welt noch überfallen sollten, wenn Elsa tot war. Das war gut so, das musste es ihr doch wert sein. Elsa konnte und wollte wirklich nicht für sich beanspruchen, dass ihr Leben wichtiger wäre als Istlands Weltfrieden. Das hätte sie trösten müssen, aber sie war weit entfernt davon, getröstet zu sein.
    Zwei Gedanken kamen ihr bei dieser Gelegenheit fast gleichzeitig. Der erste Gedanke: Carlos war ein Versager. Er hatte in der Zukunft gesehen, dass sie nach Istland zurückkehren und erschüttert sein würde. Das hatte er offensichtlich nur geträumt. Der zweite Gedanke: Anbar würde trotz allem behaupten, dass ihr Leben wichtiger sei als Istlands Weltfrieden. Sie wusste, dass er das tun würde. Weil die antolianische Regierung keinen Mord begehen durfte, weil man die Gerechtigkeit hochhalten musste, auch wenn es hart auf hart kam, und weil Elsa sowieso auf Anbars Liste der schützenswerten Geschöpfe an oberster Stelle stand. Ja, das tat sie. Das wusste sie ganz genau.
    Der Grund für seine hohe Wertschätzung konnte alles Mögliche sein: Weil sie ihm einmal erschienen war, in einer verzweifelten Lage, im Inneren eines Bergwerkes, oder weil er sich eingeredet hatte, sie könne eines Tages das Universum retten, zusammen mit den anderen Raben. Vielleicht auch, weil sie nur seinetwegen überhaupt noch da war und er sich deswegen für sie verantwortlich fühlte. Oder weil sie Agnes gewesen war, Nadas Schützling, und er ihren Tod nicht hatte verhindern können. Es bestand sogar die Möglichkeit, dass es wegen ihrer Augen war. Weil er das Nichts darin so mochte und weil es ihm etwas bedeutete. Tatsache war: Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sie unbedingt leben musste, aber sie würde es nicht tun. In zehn oder zwanzig oder spätestens dreißig Minuten würde sie ausgelöscht sein. Wenn er das erfuhr, würde es schlimm für ihn werden.
    Was hatte sie sich Geschichten über ihn erzählen lassen, von allem und jedem, wie neugierig hatte sie alles aufgesogen, was es über ihn zu wissen gab, nur weil sie seinen Namen hören wollte und glaubte, sie käme ihm auf diese Weise näher. Näher war sie ihm aber nicht gekommen, sie hatte sich eher entfernt. Das Wichtigste hatte sie die ganze Zeit gewusst: Seine Zuversicht war davon abhängig, dass sie existierte, in diesem oder wenigstens im nächsten Leben. Sie war sein leuchtender Stein, sein Aeiol, an dem er mit abergläubischer Hoffnung hing. Wenn sie ihn wirklich liebte, auf eine Weise, die diese Bezeichnung verdiente, dann hätte sie sein Glück im Blick gehabt und nicht nur ihr eigenes. Dann hätte sie gut aufgepasst, hätte sich womöglich gar nicht von den anderen getrennt und wäre nicht so gedankenlos in die Falle gestolpert. Aber jetzt war es zu spät zu bereuen. Die Noch-nicht-ganz-Zeit neigte sich dem Ende zu. Elsa sah es daran, wie sich die Wissenschaftler-Frau verschiedene Dinge in

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