Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Kontakt zu dem Nichts, zu dem merkwürdigen Geheimnis ihrer Existenz, das sich – in Auflösung befindlich – irgendwo zwischen dem Rabenvogel und der Glasblase in der Welt hielt, an Ort und Stelle, bevor es in den bedauerlichen Zustand geraten würde, der da lautete: Nicht mehr vorhanden und nie gewesen sein.
Dem wurde nachgeholfen. Jemand setzte die Nadel am Raben an und in die gläserne, kugelförmige Blase wurde ein tödliches Gas geleitet. Da passierte etwas, das niemand für möglich gehalten hätte, Elsa am allerwenigsten. Der Rabe reagierte auf eine Weise, die Elsa in diesem, ihrem letzten Leben, immer eigen gewesen war: Er wehrte sich. Ganz plötzlich strampelte er und einer seiner Flügel flutschte aus der Hand eines Peinigers, was alle Beteiligten zutiefst erschreckte und ihre Ängste und Zweifel so schürte, dass sie für den geringsten aller Augenblicke aus der Konzentration gerissen wurden. Der Rabe flatterte nach Leibeskräften, weswegen die Wissenschaftlerin, die das Pistolending mit dem Glasbehälter hielt, so krampfhaft und panisch in Richtung des Raben drückte, dass die Kanüle, die in den Rabenkopf führte, zerbrach. Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen und dann ging alles sehr schnell. Was gewaltsam aus dem Raben herausgezogen worden war, wurde jetzt ebenso heftig wieder zurückgesogen. Elsa verging dabei Hören und Sehen. Die Blase, in der ein schmieriger, merkwürdiger Bestandteil ihrer selbst geklebt hatte, implodierte und zerplatzte mitsamt dem Gas, das soeben eingeleitet worden war, und alle Anwesenden drückten sich die Arme gegen Mund und Nase, um nichts davon einzuatmen. Elsa aber verlor ihre deutlichen Gedanken, denn ihr Bewusstsein wurde zurück in den Raben gezogen und dort wurde sie wieder Opfer des Nervengifts, wenn auch in abgeschwächtem Maße, da seine Wirkung nachgelassen hatte. Alles war zusammenhanglos, doch gleichzeitig fühlte sie sich stark. Niemand zerrte an ihr, nichts von ihr war außerhalb, keine Möwenfäden hinderten sie daran, den Zwischenraum zu benutzen, und die wenigen Hände, die sie niederdrückten, waren bezwingbar, denn alle Anwesenden versuchten sich vor dem giftigen Gas zu schützen und waren sehr abgelenkt.
Ein Strampler mit dem Krähenfuß, ein Zucken mit dem Kopf, ein donnernder Herzschlag, ein Sprung ihrer Sinne: Der Zwischenraum riss auf, er riss so heftig auf, dass sie tausenderlei Farben sah, grelle Häute vieler Welten, die zerplatzten. Mit einem entschiedenen Ruck fiel sie hinein in das Loch und hindurch, durch viele Welten auf einmal, so schnell, dass ihr im ersten Moment keiner folgen oder sie festhalten konnte. Es war ihr nicht möglich, einen Plan zu fassen, überhaupt etwas Sinnvolles zu denken. Farben zerrissen und sie stürzte. Irgendwann qualmte die Erde, Rauch stieg zum Himmel auf. Der Rabe atmete. Er atmete und atmete und bemerkte ein kleines Tor seitlich von ihm, unmittelbar über dem Boden. Ihm kam der Gedanke, dass er sich davon entfernen müsste. Nein, noch besser wäre es, das Loch im Zwischenraum zu flicken. Mit Geisterfingern bappte er die losen, flackernden Enden zusammen, ohne zu wissen, was er tat und wie er es tat. Er wusste nur, dass er das Loch schließen musste. Dann hörte er eine Stimme neben sich.
„Wie machst du das?“, fragte ein Kind.
Der Rabe, der mittlerweile wieder ein Mensch war, und wie ein Wahnsinniger mit den Händen in der Luft herumfuchtelte, sagte:
„Wieso, was mache ich denn?“
„Du machst Funken“, sagte das Kind.
Elsa sah sich ihre Hände an und dann die Luft. Alles kam ihr verrückt vor. Es war wie ein Traum. Wenn sie wirklich lebte, wenn sie wirklich noch auf Erden weilte, und ganz so fühlte es sich gerade an, dann hatte sie wahrscheinlich den Verstand verloren. Sie ließ die Hände sinken und starrte in die grauen Wolken über dem Wald.
„Ich lebe“, stellte sie fest.
„Bist du die Hexe?“
Elsa drehte den Kopf, um das fragende Kind anzusehen. Es hatte rote Locken und sie hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Es mochte um die fünf Jahre alt sein.
„Ja“, antwortete Elsa. „Wenn es hier eine Hexe gibt, dann bin das bestimmt ich.“
Sie war es aber gar nicht. Eine andere war die Hexe, eine alte Frau mit Warzen auf der Nase, so wie man sich das im Allgemeinen vorstellt. Die kam kurze Zeit später, scheuchte das Kind namens Allägis fort und betrachtete sich das Geschöpf, von dem sie später behauptete, es sei geradewegs vom
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