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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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nicht über Hanna.
    Lilli wünschte, sie hätten es getan, über Hanna geredet, denn Hanna nahm immer mehr Raum in ihren Gedanken ein, je tiefer sie in das Buch vordrang, je mehr Gertruds Tagebuch offenbarte.
    Woher sie es hatte? Auch das hätte Franza interessiert, ja, mit Sicherheit, aber Lilli konnte noch nicht daran rühren. Es lag ihr so schrecklich auf der Seele, dass sie es verschlossen hielt, vor sich selbst, noch mehr vor den anderen.
    Manchmal sehnte sie sich danach, in ein Geschäft zu gehen, in ein teures, angesehenes, und einen Duft zu klauen, einen verdammten, verfluchten Duft, um ihn ins Klo zu schütten und abzuhauen und vielleicht, verflucht noch mal, vielleicht merkte es endlich einer, so ein versiffter Kaufhausdetektiv, und erjagte sie endlich, erspürte und stellte sie, und das Schreckliche würde überdeckt sein mit dem Schrecklichen des Aktuellen, dass sie, Lilli, eine Diebin war. Vielleicht verlor der Tod dann ein wenig, vielleicht verlor Gertruds Tod und alles, was mit ihm zusammenhing, sich ein wenig in den Alltag, vielleicht wurde er fassbarer, vielleicht war er dann nicht mehr dasschrecklichstevonderwelt .
    Aber er war dasschrecklichstevonderwelt und nichts, nichts konnte das überdecken, sosehr Lilli sich das auch wünschte. Die Bilder hatten sich in ihre Netzhaut gebrannt, die Zwiebel, das Messer, das Blut und Gertrud mittendrin, die Marmeladengläser, die Scherben, der süße Geruch nach eingekochten Zwetschgen, nach Zucker und einem Schuss Brandy, für immer, das wusste Lilli, würde all das für sie zusammengehören.
    Sie schluckte und schluckte und ließ die Tränen fließen und hoffte sehr, dass irgendwann einmal alles herausgeweint war, aber das würde wohl nicht so rasch geschehen.
    Sie hatte das Tagebuch an sich genommen, als diese verfluchte Nacht allmählich zu Ende ging, sie war hoch ins Elternschlafzimmer, weil …, weil …
    Sie wusste nicht, warum. Eingebung. Intuition. Vielleicht hatte sie gedacht, dort wäre sie noch anzutreffen, Gertrud, dort wäre ihr Duft noch in ihren Kleidern, im Kopfkissen, ein bisschen nur, ein bisschen … und so war es ja auch gewesen.
    Lilli hatte das Schlafzimmer betreten und war dann wie vom Blitz getroffen stehen geblieben, die Betten waren zerwühlt, auf dem Sessel lagen Kleidungsstücke, auf dem Nachttisch Bücher. Vorsichtig strich Lilli mit der Hand darüber, ja, man konnte Gertrud noch spüren in all ihren Dingen, ja, sie war noch da, wie ein Hauch, wie eine Helligkeit, wie lichtes Laub …
    Plötzlich hatte Lilli das Gefühl, in eine innere Ordnung einzudringen, die war zerbrechlich wie Glas und zitternd wie Schatten.
    Langsam wurde Lilli und leise, um nichts zu zerstören, um nichts zu verschieben, um Gertrud nicht zu verscheuchen, vorsichtig setzte sie sich auf das Bett, auf Gertruds Seite, und es fiel ihr ein, dass sie da niemals gelegen hatte, niemals an Gertrud gekuschelt, weil sie dazu schon viel zu alt gewesen war, als sie in das Haus gezogen waren.
    Jetzt, dachte sie, also jetzt! Sie legte sich in die Decken, kuschelte sich hinein und sog den Duft ein, der noch in den Kissen hing, und dachte an Gertrud, die dort unten in der Küche lag, in ihrem Blut, in der Marmelade, neben der Zwiebel, neben dem Messer.
    Irgendwann erwachte Lilli aus ihrer Betäubung, kam hoch aus dem Bett und sah es. Was da lag. Auf dem Boden. Ein Buch. In rotes Leder gebunden, ein blaues Band darum geschlungen, verblasst die Farben. Lilli nahm das Buch und ihr Herz begann zu klopfen, als fühlte sie, als wüsste sie schon …
    Sie löste das Band, schlug das Buch auf, begann zu lesen.
    Ich habe jetzt eine Schwester , hatte Gertrud in kindlicher Schrift auf die erste Seite geschrieben. Eine Schwester hat man für ein Leben. Meine Schwester heißt Hanna.
    Lilli fühlte den Umschlag an den Händen, fühlte die Starre, dass sie in etwas Geheimes eindrang, fühlte, dass es gefährlich werden konnte, dass das Schreckliche sich noch steigern konnte, auch wenn das fast nicht zu glauben war.
    Rasch schlug sie das Buch zu, wollte es zurücklegen. Leg es zurück, flüsterte es in ihrem Inneren, lies es nicht, tu es nicht.
    Aber sie musste es lesen. Sie konnte nicht anders. Schlug das Buch wieder auf. Eine Schwester hat man für ein Leben, ich habe jetzt eine Schwester, sie ist gekommen wie der Blitz, ihre Haare sind wie Karotten, ihre Mutter ist ein Gespenst, wenn man ihren Arm hebt, fällt er herunter, ihre Haut ist wie weißes Papier, das wir in der Küche haben,

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