Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
sich an sie.
»Immer noch die richtige Größe«, versuchte er zu witzeln. »Immer noch wie für mich gemacht.«
Sie lächelte. »Was du da machst …«, sagte sie.
»Ich weiß«, flüsterte er, steckte seine Nase in ihr Haar, »aber es ist so vertraut.«
Ja, dachte sie, vertraut, so vertraut.
»Ich habe einen Liebhaber«, flüsterte sie, »einen Freund, einen Gefährten.« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß«, flüsterte er, »das weiß ich doch. Und ich hasse es.«
Sie dachte an Port und dass er diese paar Wochen in Wien verbringen und was danach wohl sein würde und spürte plötzlich, dass sie … doch ein bisschen allein war, alleiner als früher …
»Kommst du mit in mein Bett?«, flüsterte Max, »wollen wir uns einfach ein wenig zusammenlegen?«
Sie dachte nach, dachte nach, fühlte ihre vom Wein schweren Glieder, schüttelte den Kopf und nickte, aber nickte. Sie gingen ins Schlafzimmer, drehten kein Licht an, zogen sich aus, schlüpften unter die Decke.
Sie umarmten sich, hielten sich fest, erinnerten sich, wie es gewesen war, früher. Für einen Augenblick wollte Franza bereuen, dass … aber dann …
»Du hast ein ganz klein wenig zugelegt«, sagte sie leise, staunend, ein bisschen neckend, »ein ganz klein wenig, das macht dich … fast weich, kuschelig.«
»Na ja«, sagte er verlegen und freute sich. »Die Zeit bleibt nicht stehen. Aber du, Franza, du bist schön.«
Sie lachte ein wenig traurig. »Ach was«, sagte sie, »ich bin nicht schön. Wir gehen doch alle auf die fünfzig zu.« Und ihm fiel ein, dass sie in ein paar Wochen Geburtstag hatte.
»Wenn ich mich umschaue«, sagte sie mit einer Stimme, die ein wenig wie Blech war, »wenn ich sehe, wie ich manche Gesichter von früher in Erinnerung habe, und wenn ich sie dann sehe nach zehn Jahren oder mehr, und wie sie sich verändert haben, das erschreckt mich«, sagte sie, »das erschreckt mich so und dann stelle ich mir mein Gesicht vor, wie es mir erschiene, wenn ich es zehn Jahre nicht gesehen hätte, wenn ich es seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder sähe.«
Er sagte nichts, strich ihr nur übers Haar. Sie lächelte ihn wehmütig an.
»Aber manchmal«, sagte sie, »manchmal, ja, manchmal fühle ich mich schön. Jetzt zum Beispiel.«
Sie schliefen nicht miteinander. Sie gaben sich ihrer Traurigkeit hin, ihrer Melancholie.
Sie dachten an ihre gescheiterte Ehe, an ihren Sohn, den sie so selten sahen, an Port, an die jungen Frauen, die sich Max hin und wieder für eine Affäre gönnte, an das Haus, das … vielleicht … bald nicht mehr ihres sein würde.
»Das Haus«, sagte er, »sie nehmen es.«
Scheiße, dachte sie, Scheiße.
»Macht es dich …?«
»Ja«, sagte sie, »tut es.«
»Mich auch«, sagte er.
Sie schwiegen.
»Wann?«, fragte sie.
»Sobald wir es sagen.«
Sie nickte. »Ja«, sagte sie. »Das Leben ist manchmal …«
»Ich weiß«, sagte er.
Wieder Schweigen. Es überfiel sie, wie gesagt, Traurigkeit. Sie hielten sich umschlungen, um sie zu überstehen. Sie empfanden eine große Zartheit, eine Zärtlichkeit und überstanden die Einsamkeit für eine kurze Weile.
»Ich wollte dich umbringen«, sagte sie.
Er wusste sofort, dass sie von der jungen Frau sprach, die als Au-Pair zu ihnen gekommen und im Laufe des Jahres seine Geliebte und schließlich die Mutter seines zweiten Kindes geworden war. Ewig her, so viele Jahre, und immer noch ein Stachel, der manchmal in die immer gleiche Wunde stach.
»Ich weiß«, sagte er, »danke, dass du’s nicht getan hast.«
»Es hat weh getan«, sagte sie, »schrecklich weh.«
»Ich weiß«, sagte er.
»Ich habe dir lang nicht verzeihen können«, sagte sie.
»Ich weiß«, sagte er. »Hast du’s denn mittlerweile getan?«
Sie schaute ihn an, lächelte. »Ich werde jetzt heimfahren«, sagte sie.
39 Das Wetter war schlechter geworden. Leichter Nieselregen überzog das Land. Ein müder Montagmorgen, der vierte Tag. 15. September. Christian Rabinsky war ins Präsidium zur Vernehmung bestellt.
Er wirkte müde, passte zu dem grauen Tag, zu dem Nieselregen vorm Fenster.
»Guten Morgen«, sagte Franza, als sie in den Vernehmungsraum kam, in dem Felix gerade Kaffee und Wasser verteilte.
»Warum bin ich hier?«, fragte Rabinsky. »Was wollen Sie von mir? Ich habe Ihnen alles gesagt. Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe? Meine Kinder brauchen mich. Sie haben gerade ihre Mutter verloren, falls Sie das vergessen haben!«
»Nein«, sagte Franza, »das haben wir nicht
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