Rabenvieh (German Edition)
keine Angst mehr hatte, da ich mir einredete, dass er mich beschützen würde. Ich erklärte meinen Mitbewohner zu meinem Freund und es tat mir gut, das Gefühl zu haben, dass jemand bei mir war. Mit zunehmender Zeit gelang es mir, ihn auf meine Hand zu bekommen und er machte keine Anstalten mehr weghüpfen zu wollen. Ich hielt ihn ganz nahe vor mein Gesicht und redete mit ihm. Ich mochte ihn und ich bildete mir ein, dass er mich und meine Sorgen verstehen konnte und mir deshalb so geduldig zuhörte. Ließ ich ihn aus der Hand, hüpfte er meist unter mein Bett oder hinter den Schrank. Bereits nach kurzer Zeit hatte ich ihn so lieb gewonnen, dass ich Abend für Abend auf ihn wartete, ihn mir auf die Hand und mit in mein Bett nahm, neben mir auf das Kopfpolster setzte und ihn behutsam mit meiner Decke zudeckte. Ich war überglücklich, dass ich jemanden an meiner Seite hatte, dem ich meine Sorgen und Ängste anvertrauen konnte und bei dem ich einfach so sein durfte, wie ich war. Ich durfte bei ihm schimpfen, traurig, verzweifelt, wütend und schwach sein, und ich durfte bei ihm weinen, ohne dass er sich von mir abwandte. Ein kleiner winziger Frosch gab mir das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein. Einen Teddybär oder Ähnliches, an das ich mich ankuscheln konnte, besaß ich nie. Aber ich hatte einen Frosch und das nicht als Plüschtier, sondern lebend.
Das Glück, einen »Beschützer« an meiner Seite haben zu dürfen, war mir nicht lange hold. Neben meinem kleinen Freund bekam ich bald auch noch andere Besucher, und welche, die wieder Unwohlsein in mir auslösten. Durch den defekten Gitterschacht gelangten Unmengen an Ungeziefer in mein Zimmer. Bald hatte ich neben weiteren Fröschen auch Spinnen, Käfer, Raupen Mäuse und zu guter Letzt auch noch Ratten. Die Ratten fand ich nicht nur widerlich, sondern ich hatte auch noch Angst vor ihnen. Überall in meinem Zimmer waren Spuren von Kot zu sehen und ab und an eine von der Ratte totgebissene Maus. An Schlafen war nicht mehr zu denken. Ich erzählte meinen Pflegeeltern unzählige Male, dass ich diese Tiere in meinem Zimmer habe und aus Angst vor ihnen keinen Schlaf finden könnte. Was ich dafür erntete, war wie so oft spöttisches Gelächter und die Aussage, dass sich nun mal Ungeziefer neben Ungeziefer wohlfühlte. Ich gab es auf, ihnen davon zu erzählen, da ich mir weitere verletzende Worte ersparen wollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit diesen unliebsamen Bewohnern zu arrangieren. Ich räumte meinen Platz für sie. Abends, vor dem zu Bett gehen, beseitigte ich die Spuren von Kot, entsorgte diese im Kohlekeller und legte mich anschließend im Heizraum auf dem Betonboden schlafen. Im Gegensatz zu meinem Zimmer war es dort wohlig warm und frei von irgendwelchen Tieren. Mir tat es leid, um meinen kleinen Freund aber in meinem Zimmer zu bleiben, das konnte ich unter diesen Umständen nicht mehr und ihn mit in den Heizraum nehmen wollte ich nicht, da ich dachte, dass er ohne seine Freunde einsam wäre.
Über so viele Jahre hinweg war ich Kälte, Nässe Ungeziefer, Dunkelheit und massiver Angst ausgesetzt. Ich schlich mich all die Jahre unentwegt durch die Kellerräume und betrachtete dabei die Fensterluken und stellte mir vor, eines Nachts über eines dieser Luken zu entfliehen. Leider waren sie aber selbst für meinen schmalen Körper viel zu klein und so blieb es nur bei dieser Wunschvorstellung. Klar, ich hätte auch nach der Schule, anstatt im Wald zu sitzen, fliehen können, aber ich hatte zu große Angst, dass man mich bei Tageslicht zu schnell aufgreifen und wieder an diesen Ort zurückbringen könnte und was mir dann geblüht hätte, wäre vermutlich schlimmer als der schlimmste Albtraum gewesen.
Taschengeld
Taschengeld, dieses Vorrecht hatten wieder einmal nur Friederike und Sybille. Mir wurde von meinem Pflegevater immer wieder welches zugesichert, in den Genuss kam ich aber letztendlich nie. Stattdessen durfte ich neiderfüllt mit ansehen, was sich Friederike und Sybille mit ihrem Taschengeld gönnten. Auch in meiner Klasse bekamen alle Taschengeld, manche mehr, manche weniger, aber sie bekamen welches. Vor oder nach der Schule liefen meine Klassenkameraden oft in Gruppen zum nächst gelegenem Geschäft und kauften sich Süßigkeiten. Einige gleich eine ganze Tafel Schokolade, andere einen Lolli oder ein Eis und andere wiederum nur ein Stollwerk-Bonbon. Vor dem Geschäft versammelte sich dann die Gruppe und tauschte ihre Süßigkeiten
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