Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
Vom Netzwerk:
Auto meines Pflegevaters in der Einfahrt hörte. Ich wurde in die Küche gerufen. Hätte ich einen Wunsch freigehabt, hätte ich mir gewünscht, dass vom Keller bis in den Wohnbereich ein Minimum an zweitausend Stufen zu bewältigen gewesen wären, nur um Zeit zu gewinnen. Mein Pflegevater saß bereits am Tisch und nahm sein Essen zu sich. Von meiner Pflegemutter bekam ich die Anweisung, auf der Sitzbank neben meinem Pflegevater Platz zu nehmen. Anders als sonst las er an diesem Tag während des Essens nicht die Tageszeitung. Während ich so da saß und ihm zusah, wie er sein Essen zu sich nahm, beschäftigte ich mich mit der Frage: »Was, wenn ihm doch aufgefallen ist, dass Geld in seinem Geldbeutel fehlte?«
    Beängstigende Stille war im Raum. Lediglich das Klappern des Bestecks war zu hören. Ich sah ihm zu, wie er den letzten Rest seines Essens fein säuberlich zusammenputzte und mit Hilfe des Messers auf die Gabel schob. Innerlich begann ich so stark zu frieren, dass mein Zähneklappern nicht mehr unter Kontrolle zu halten war. Ich zuckte zusammen, als meine Pflegemutter die Hand hob, ausholte und kurz vor meinem Gesicht stoppte. »Halts Maul«, plärrte sie mich an. Mein Pflegevater legte Messer und Gabel auf den Teller, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und wandte den Blick in meine Richtung. Ich konnte seine angespannten Gesichtszüge erkennen. »Hast du mir etwas zu berichten?«, fragte er. Ich antwortete auf seine Frage mit einem spontanen »Nein.« Auf meine Antwort hin meinte er, ob ich wisse, was mit Katarina geschehen sei. Die Frage zu diesem Zeitpunkt ergab für mich zunächst keinen Sinn. Ich nickte verneinend mit dem Kopf. Ob ich vergessen hätte, dass Katarina eine Diebin war, fragte er mich schließlich. Jetzt dämmerte es mir, was er mir damit sagen wollte. In den darauf folgenden Minuten hielt er mir einen Vortrag, den ich mittlerweile schon auswendig kannte. Katarina war eine Diebin und deshalb habe sie in diesem Haus nichts mehr verloren gehabt. Nun müsse sie in einem Heim aufwachsen und würde zu einem Taugenichts heranwachsen. Bei Ungehorsamkeit würde man sie dort umgehend vor die Tür setzen. Sie wäre folglich obdachlos, würde erfrieren, verhungern, verdursten. Niemand nähme sich ihr mehr an. Gerne hätten sie Katarina bei sich behalten, wäre sie nicht so undankbar gewesen und hätte sie sie nicht bestohlen, wie er meinte. Sein Plan, mir vor Augen zu führen, dass ich allein durch ihre Fürsorge eine Chance im Leben hätte, ging, wie jedes einzelne Mal davor, auch dieses Mal voll auf. Er wollte mir damit nichts anderes sagen, als dass ich gefälligst dankbar zu sein habe, dass sie mir ein Dach über dem Kopf böten, während Katarina früher oder später als Heimatlose enden würde. Reumütig nickte ich. Ich gab ihm in allem Recht. Meine Blicke schweiften mehrere Male in die Richtung meiner Pflegemutter. In der Zwischenzeit hatte sie sich eine Illustrierte genommen, blätterte darin und tat so, als würde sie von alldem nichts mitbekommen.
    So wie mich mein Pflegevater die ganze Zeit über ansah, wusste ich, dass er sich ein Geständnis von mir erwartete. Ich gestand jedoch nicht, was zur Folge hatte, dass ich ihn damit noch aggressiver machte. Mit einem Furcht einflößendem Blick stellte er mir schließlich die Frage, ob ich aus seinem Portemonnaie Geld entwendet hätte. Ich stand vor einem gewaltigen Problem. Sollte ich besser die Wahrheit sagen oder lügen? Mit welcher Aussage würde ich glimpflicher davonkommen? Im Grunde genommen servierte er mir doch schon auf dem Tablett, dass er bemerkt hatte, dass Geld in seinem Portemonnaie fehlte. Trotz alledem trug ich doch noch den Funken Hoffnung in mir, dass er mich vielleicht nur aus der Reserve locken möchte, da er sich selbst nicht ganz sicher war, ob mehr Geld in seinem Geldbeutel gewesen war. Ich entschied mich abermals für ein »Nein« und wusste aber auch zugleich, dass es damit nicht getan war. Er stellte mir ein letztes Mal dieselbe Frage und diesmal gab ich mit kleinlauter Stimme und geneigtem Kopf ein »Ja« als Antwort. Mit meinem Geständnis spannte ich alle Muskeln an und wappnete mich gegen das, was nun folgen würde. Ohne ein weiteres Wort erhob er sich von seinem Platz, ging um den Tisch herum, kam auf mich zu und zog mich an den Haaren von der Sitzbank. Zur selben Zeit erhob sich meine Pflegemutter und schloss wie immer in derartigen Situationen alle Fenster und Türen. Fenster, damit Nachbarn mein Weinen

Weitere Kostenlose Bücher