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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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untereinander. Lange Zeit wurde ich auch ohne Geld oder Süßigkeiten geduldet, aber irgendwann verbündeten sich alle gegen mich und verbannten mich aus der Gruppe. Ab diesem Zeitpunkt stand ich dann immer abseits und beobachtete von Weitem, wie sie sich unterhielten und gegenseitig an ihren Süßigkeiten naschten. Wenn ich zu Hause einmal nach ein bisschen Kleingeld für Süßes fragte, wurde meine Bitte einfach lieblos abgewiesen. Meine Pflegeeltern badeten nicht gerade im Geld, aber von arm waren sie weit entfernt. Es scheiterte also nicht am Geld, sondern am Willen. Mein Plan, zukünftig aus der Vorratskammer Süßigkeiten zu entnehmen, scheiterte bereits nach dem ersten Versuch. Der Aufmerksamkeit meiner Pflegemutter ist es nicht entgangen, dass ich eines Tages in einem unbeobachteten Moment eine Rippe Schokolade und zwei Bonbons entnommen hatte. Nach der üblichen Folter schleifte sie mich an den Haaren in den Keller. Im Kohlekeller zwang sie mich, vor dem Holzstock hinzuknien. Ich begann wie Espenlaub zu zittern, als sie meine rechte Hand nahm, auf den Holzstock legte und zur Axt griff. So sehr ich auch kämpfte, aber ich konnte mich aus ihrem eisernen Griff nicht befreien. Aus Angst, dass sie mir meinen Arm abhacken würde, sagte ich freiwillig einige Male hintereinander: »Ich bin ein schlimmes Kind und verdiene nicht geliebt zu werden.« Mit einem fiesen Grinsen setzte sie die Axt unterhalb meines Ellbogens an und drückte die Klinge dabei fest in mein Fleisch. »Das ist ein kleiner Vorgeschmack. Solltest du es nochmals wagen, aus der Vorratskammer etwas zu stehlen, hacke ich dir die Hand ab.«
    Ich wollte um nichts auf der Welt mehr, als ein einziges Mal mit den anderen zum Geschäft laufen, also begann ich nach Möglichkeiten zu suchen, um an bisschen Geld zu kommen. Ein Gedanke, der mich dabei regelrecht verfolgte, war einer, bei dem ich schon von vornherein wusste, dass im Falle eines Scheiterns der Unterricht in der Schule einige Tage ohne mich stattfinden würde. Dennoch, mein Verlangen siegte gegenüber der Vernunft. Alles, was ich zunächst dafür tun musste, war, abzuwarten, dass meine Pflegeeltern es einmal verabsäumen würden, den Riegel vorzuschieben. Wochen später war das bereits der Fall. Ich öffnete eines Abends leise die Schiebetür des Kellers und schlich mich mehrere Stufen hinauf zur Garderobe. Dort hing für gewöhnlich die Jacke meines Pflegevaters und in einer seiner Innentaschen befand sich seine Geldbörse. Ich öffnete das Kleingeldfach und entnahm, ohne großartig darauf zu achten, irgendeine Münze aus seinem Portemonnaie. Ich steckte diese in die Innentasche zurück, hängte die Jacke wieder in die richtige Position, huschte die Stufen wieder hinab, und schloss zügig die Schiebetür. In meinem Zimmer sah ich, dass ich eine Fünfschillingmünze, also knapp vierzig Cent entnommen hatte. Obwohl ich wusste, dass ich soeben etwas Verbotenes getan hatte, erfreute ich mich zugleich an dem Gedanken, einmal der Gruppe angehören zu können. Im Geiste lief ich bereits mit den anderen ins Geschäft. Mit der Vorstellung, in einigen Stunden inmitten voller leckerer Sachen zu stehen, fiel ich irgendwann in den Schlaf.
    Der nächste Morgen. Ich erfüllte mir mit dem gestohlenen Geld den Traum, gemeinsam mit den anderen ins Geschäft zu laufen. Alle meine Klassenkameraden wunderten sich, denn immerhin waren sie es nicht gewohnt, dass ich Geld hatte. Als besäße ich eine ganze Handvoll Scheine, hamsterte ich zunächst alles Mögliche zusammen. Ich konnte mich nicht entscheiden – eins lachte mich mehr an als das andere. Letztendlich kaufte ich mir ein Twinni-Eis und einen Lolli – alle anderen Kostbarkeiten legte ich schweren Herzens wieder zurück. An diesem Tag gehörte ich einmal zur Gruppe und es war ein so tolles Gefühl, dass ich in diesem Moment völlig vergaß, dass ich meine Leckereien mit gestohlenem Geld tätigte. Als die ersten die Gruppe verließen, um den Heimweg anzutreten, machte ich mich ebenfalls auf den Weg. Da der Schulbus sehr unregelmäßig fuhr, ging ich die knapp vier Kilometer zu Fuß nach Hause. Während des Nachhausewegs überkam mich erneut das schlechte Gewissen, tröstete mich aber schnell mit dem Gedanken, dass das wenige Geld, das ich stahl, meinem Pflegevater nicht auffallen würde.
    Zu Hause angekommen roch ich bereits an der Eingangstür das Mittagessen - es war der Geruch von Szegediner-Gulasch. Wenn ich eins nicht ausstehen konnte, dann war es dieses

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