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Rabenvieh (German Edition)

Rabenvieh (German Edition)

Titel: Rabenvieh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Anhofer
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hatte, wusste ich damals nicht. Unmittelbar neben meinem Zimmer befand sich ein kleiner Raum, der mit einem langen dunklen Vorhang abgeteilt war. Meine Angst steigerte sich eines Tages dahin gehend, dass ich dachte, dass hinter diesem Vorhang ein Sensenmann stehen und mir beim Öffnen der Tür den Kopf abschlagen würde.
    Meine nächtlichen Träume, mit Herzrasen und schwindelig an einem Abgrund zu stehen, kamen in immer kürzer werdenden Abständen. Schweißgebadet erwachte ich jedes Mal und es dauerte einige Zeit, bis ich überhaupt realisierte, wo ich war. Die ersten Jahre träumte ich nur, dass ich dort stand und in den Abgrund blickte. Doch je älter ich wurde, umso öfter sprang ich auch. Angst dominierte mein Leben – tagein, tagaus. Ich gab es irgendwann auf, meine Pflegeeltern anzubetteln, mich bitte nicht weiterhin im Keller einzusperren, da ich dafür nur Gelächter erntete.
    Um mich von meinen Ängsten nicht gänzlich verrückt machen zu lassen, flüchtete ich mich deshalb immer öfter in meine Tagträume. In meinen Träumen war ich ein kleines Mädchen mit langen blonden Engelshaaren. Ich lebte in einem Schloss und hatte ein riesiges Zimmer, das mit Barbiepuppen und Teddybären ausgeschmückt war. Ich trug die schönsten Kleider und war eine richtige Diva. Selbst einen eigenen Butler hatte ich. Mit dem Butler setzte ich mich auf einen magischen Teppich und flog hinauf zu den Wolken. Ich sprang auf eine dieser Wolken und ließ mich durch die Lüfte treiben. Meinen Butler schickte ich währenddessen nach Hause und bat ihn, mich in einer Stunde mit dem Teppich wieder abzuholen. Ich meinen Träumen war ich eine Heldin, denn ich wusste, dass niemand außer mir die Welt von oben sehen konnte.
    Eines Abends, kurz nach dem Einschlafen, schreckte ich noch einmal aus dem Schlaf, weil ich meinte, als hätte ich etwas gehört. Ich machte die kleine Nachttischlampe an und blickte im Zimmer und auf dem Boden herum, doch fündig wurde ich nicht. Das ganze wiederholte sich unzählige Male, bis ich irgendwann mit dem Gedanken einschlief, dass das nichts anderes als eine Einbildung wäre. Nacht für Nacht wiederholte sich das Ganze und je später der Tag, umso mehr fürchtete ich mich vor dem zu Bett gehen. In der Schule war ich müde und unkonzentriert, einerseits wegen Schlafmangels, andererseits, weil ich permanent damit beschäftigt war, mir Gedanken über die merkwürdigen Geräusche zu machen. Die Geräusche in den vergangenen Nächten machten mir noch mehr Angst, als ich ohnehin schon hatte, und deshalb beschloss ich, von nun an beim Schlafen das kleine Nachttischlämpchen anzulassen. Mein Pflegevater durchkreuzte meinen Plan. Als er abends nochmals in den Gemüsekeller ging, um Getränke zu holen, sah er durch den Spalt der Tür Licht in meinem Zimmer. Er kam in mein Zimmer, herrschte mich an und hielt mir einen Vortrag, wie verschwenderisch ich sei und welche Kosten ich damit verursachen würde. Um mir eine Lektion zu erteilen, entfernte er sowohl die Glühbirne in dem kleinen Nachttischlämpchen als auch die in der Deckenleuchte. Von nun an war ich nicht nur mehr eingesperrt, sondern auch der völligen Dunkelheit ausgesetzt. Wenige Tage nach dem Entfernen der Glühbirnen entwendete ich aus der Küche eine kleine Taschenlampe, die ich mit in mein Zimmer nahm, und hinter dem Kleiderschrank versteckte. Abends holte ich sie wieder hervor, nahm sie mit unter meine Bettdecke und schlief mit dem Daumen auf dem Einschaltknopf ein.
    Als ich eines Nachts abermals nach dem Einschlafen hochschrecke, drückte ich schnell auf den Einschaltknopf und leuchtete damit auf den Boden herum. Endlich! Ich wurde fündig. Riesen Erleichterung machte sich in mir breit, denn ich hatte wirklich schon befürchtet, dass ich mir die Geräusche nur einbilden könnte. Ich hatte Gesellschaft. Ein kleiner Frosch war in meinem Zimmer und hüpfte quietschvergnügt durch die Gegend. Vor großen, ausgewachsenen Fröschen ekelte es mich, aber diesen kleinen Winzling fand ich süß. Ich stieg aus meinem Bett und versuchte ihn zu fangen, doch als ich mich ihm näherte, hüpfte er weg und verschwand im letzten Winkel hinter dem Schrank. Die halbe Nacht wartete ich in der Hoffnung, dass er sich noch einmal blicken lassen würde. Enttäuscht schlief ich irgendwann ein.
    Am Abend darauf saß ich in meinem Bett und wartete hoffnungsvoll, ihn wiederzusehen – und er kam. Es war nur ein winzig kleiner Frosch, aber er bewirkte, dass ich vor dem Schlafengehen

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