Rabenzauber
brachte.
Nur sehen, wohin die Straße uns bringt, Ushireh.
Jetzt gab es keinen Grund mehr, sich nicht einem anderen Clan anzuschließen. Keinen Grund, weiter mit diesem Solsenti -Barden zu seinem Solsenti -Dorf zu ziehen. An einem solchen Ort würde man sie nicht haben wollen. Nach dem, was Tier sagte, lag das Dorf sehr nahe an Schattenfall. Es würde in der Nähe keine Clans geben.
Aber statt anzukündigen, dass sie sich auf den Weg machen würde, blieb sie auf seinem Wallach mit dem seltsamen Fell sitzen, während Tier neben ihr herging und sie beide mit seinem erstaunlichen Schatz an Geschichten amüsierte, die mit allem außer seiner Heimat zu tun hatten … Geschichten, die sie von dem schaudernden Schmerz über Ushirehs Tod ablenkten, welchen sie an einem fest verschlossenen Ort vergrub, wie den Tod des Rests ihrer Familie.
Arroganz und Selbstbeherrschung waren für alle Raben unabdingbar. Die rohe Kraft der Magie zu manipulieren war gefährlich, und die geringste Spur von Selbstzweifeln oder Leidenschaft konnte alles außer Kontrolle geraten lassen. Mit der Arroganz hatte sie keine Probleme gehabt, aber es war ihr schrecklich schwergefallen, die notwendige gefühlsmäßige Beherrschung zu entwickeln. Schließlich hatte sie gelernt, Dingen aus dem Weg zu gehen, die sie aufbrachten, und das bedeutete überwiegend, so viel wie möglich allein zu bleiben. Ihr Bruder, selbst ein einsamer Mann, hatte das respektiert. Sie hatten oft tagelang kein Wort gesprochen.
Tier mit seinen ununterbrochenen Geschichten und seiner ironischen Art stellte etwas Neues für sie dar. Sie neigte nicht dazu, Leute zu beobachten; das war bisher keine Fähigkeit gewesen, die sie brauchte. Aber wenn sie ehrlich sein wollte, wusste sie nach nur ein paar Tagen mit Tier mehr
über ihn, als sie über die meisten Menschen in ihrem Clan gewusst hatte.
Er gehörte nicht zu den Soldaten, die über nichts anderes redeten als über die Schlachten, in denen sie gestanden hatten. Tier erzählte komische Geschichten über das Leben als Soldat, aber er sprach dabei nicht übers Kämpfen. Jeden Morgen stand er früh auf, suchte sich einen ruhigen Platz und übte mit dem Schwert. Das Bedürfnis, allein zu sein, war Seraph nicht fremd, also ließ sie ihn in Ruhe, während sie ihre eigenen Übungen vollzog.
Wenn er nicht redete, summte oder sang er, aber er sprach selten über wichtige Dinge, und wenn er das tat, gebrauchte er erheblich weniger Worte. Er versuchte nicht, Seraph zum Reden zu bringen, und schien sich nicht an ihrem Schweigen zu stören. Wenn sie auf der Straße anderen Leuten begegneten, lächelte er und sagte, was ihm gerade einfiel. Obwohl Seraph weiterhin schwieg, brauchte Tier nur ein wenig zu schwatzen, und die andern Leute fingen selbst an zu reden. Kein Wunder, dass Seraph ihn mochte - alle mochten ihn. Die meisten Raben blieben isoliert, selbst innerhalb des Clans, und sie hatte nie zuvor auf jemanden außerhalb der Familie genügend geachtet, um ihn zu mögen.
»Worüber lächelst du?«, fragte er, als er mit der Geschichte fertig war. »Dieser arme Ziegenhirte musste den Rest seines Lebens mit der Tochter eines reichen Mannes verbringen. Kannst du dir ein schlimmeres Schicksal vorstellen?«
»Mit einem Mann unterwegs zu sein, der ununterbrochen redet?«, versuchte sie sich darin, ihn zu necken.
Zum Glück lächelte er.
Es war Abend, als Seraph Redern zum ersten Mal sah, ein mittelgroßes Dorf, das in die Felsen eines steilen Bergs geschnitten worden war, der sich dräuend über der eisigen Wut
des Silberflusses erhob. Die untergehende Sonne ließ die einheitlich grauen Steine der Häuser entlang der Serpentinenstraße leicht rötlich erscheinen.
Tier wurde langsamer, um den Anblick in sich aufzunehmen, und Scheck stieß gegen ihn. Er tätschelte das Pferd zerstreut, dann ging er mit seinem normalen raschen Schritt weiter. Die Straße, auf der sie sich befanden, führte weiter am Fuß des Berges vorbei, und dann bog sie abrupt auf eine schmale Steinbrücke ab, die über den Silberfluss auf das Dorf zuführte.
»Der Silberfluss ist hier am schmalsten«, erklärte Tier. »Es gab einmal eine Fähre, aber vor ein paar Generationen befahl der Sept, eine Brücke zu bauen.«
Seraph nahm an, er wolle eine neue Geschichte beginnen, aber er schwieg. Er ging an der Brücke vorbei und nahm einen schmalen Pfad am Flussufer entlang. Ein paar Esel und Maultiere bewohnten eine Reihe von Koppeln nur ein paar Schritte hinter der
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