Rabenzauber
umdrehen zu können, also winkte er ihr vage zu.
Sie hockte sich neben ihm auf die Fersen. »Ich weiß«, sagte sie, »wo es ein weißes Gewand gibt, das du anziehen könntest, aber das würde dich nur zu einem Ziel machen. Andererseits könnte nacktes Herumparadieren eine ähnliche Wirkung haben.«
Er lachte, dann stöhnte er. »Wie kommt es, dass, wann immer jemand angeknackste Rippen hat, die anderen als Erstes Witze machen?«
»Du hast keine angeknacksten Rippen«, sagte die Heilerin, die von seinen Knien aufblickte. »Du hast gebrochene. Und lass das mit dem Gewand, Mädchen, bis ich mir die Rippen ebenfalls angesehen habe. Er hat nichts, was ich nicht schon besser gesehen hätte.«
»Hallo«, sagte ein Reisender und hockte sich an Tiers Seite. »Du musst der Barde sein.«
»Tier«, sagte Seraph, »das hier ist Kors. Kors, mein Mann Tier. Kors, was willst du?«
Ah, dachte Tier zufrieden, das ist das typische Charisma meiner Seraph.
»Wir haben uns gefragt, ob du den Hüter gesehen hast? Wir wissen, dass er hier war, aber keiner von uns kann ihn finden.«
»Ich habe überwiegend einen Haufen Leute von den Knien abwärts gesehen«, witzelte Tier. Dann fügte er hinzu: »Nein,
ich habe ihn tatsächlich gesehen - oder jedenfalls etwas, das wohl er gewesen sein muss und das Phoran etwas zuflüsterte. Ich nehme an, er sagte Phoran, Avar warte am geplanten Ort, denn kurz darauf gab Phoran dem Raben das Zeichen, die Wand einzureißen.«
»Ich habe das nicht bemerkt«, sagte Seraph säuerlich. »Ich versuchte, zu dir zu gelangen, und blieb in der Menge stecken. Hennea hat es alleine machen müssen - ich konnte nicht einmal diese verdammten Zauberer zu Asche verbrennen. Als ich wieder Platz hatte, waren die Meister alle tot - oder zumindest rührten sie sich nicht mehr.«
»Na ja«, sagte Kors und räusperte sich ein wenig, »deshalb hat Benroln mich ja hergeschickt, um dich zu fragen, ob du deinen Sohn finden könntest. Viele von uns haben gesehen, wie etwas die Meister umbrachte, einen nach dem anderen, aber wir konnten es nicht genau erkennen. Wir wären dir dankbar, wenn du Jes finden und dafür sorgen könntest, dass er unsere Leute nicht aus Versehen für den Feind hält.«
»Jes ist nicht dumm«, sagte Tier. Aber er machte sich Sorgen, was die Gewalttätigkeit dem Hüter angetan hatte. »Er hat sich wahrscheinlich abgesetzt, um einen ruhigeren Ort zu finden.«
»Warte, bis ich deine Rippen angesehen habe, junger Mann«, schimpfte die Heilerin und bewegte sich mit knackenden Gelenken von Tiers Knien zu seiner Seite. Kors scheuchte sie dabei einfach aus dem Weg. »Dann kannst du anfangen, nach deinem Jungen zu suchen.«
Es brauchte mehr als nur ein paar Minuten, aber schließlich konnte Tier mit Lehr unter einer Schulter und Toarsen unter der anderen aufstehen. Seraphs Gewand reichte ihm so gerade über die Knie. Diese Knie fühlten sich immer noch an, als wären sie von einer Keule zerschmettert worden - was genau den Tatsachen entsprach -, aber zumindest war er in der
Lage, über die Bühne zu schlurfen und sich die Opfer anzusehen.
Sein erster Hinweis war ein gequälter Blick, den Phoran ihm zuwarf, bevor er sich wieder umdrehte und mit Avar sprach.
Sie hatten die Leichen der Meister zusammengetragen. Als Tier sie erreichte, zerrten Kors und Kissel eine davon vom Haufen und zogen die Kapuze weg. Der dunkle Schleier, der innen angebracht war und das Gewand zu einer noch wirkunsgvolleren Verkleidung machen sollte, war aufgerissen worden, damit man das Gesicht sehen konnte.
Tier ließ sich von den Jungen helfen, bis er am Boden saß. Er konnte nun auch aus dem guten Auge nicht mehr gut sehen und nahm an, dass es bis morgen vollkommen zuschwellen würde, aber er wollte sich überzeugen, dass die Zauberer wirklich tot waren.
Seine erste Reaktion war eine Art matter Überraschung. Außer Telleridge hatte er nie einen der Meister von Angesicht zu Angesicht gesehen, aber es hatte sich immer so angefühlt, als kenne er sie trotzdem. Nun wusste er nicht einmal, wen er hier vor sich hatte. Dann erkannte er, dass der vertrocknete, eingesunkene Anblick der Leiche nichts mit deren Alter zu tun hatte. Beinahe verborgen am Hals des Mannes waren zwei verblassende Wunden.
»Die Reisenden sagten uns, dass dein Sohn zu so etwas imstande sei«, begann Avar und kam zusammen mit Phoran näher. »Und dass er über Magie verfügt, die bewirkt, dass er schwer zu sehen ist - genau wie das Geschöpf, das diese Männer
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