Rabenzauber
ihr dieses erste Gebäude? Dahinter befindet sich ein Ofen. Es ist entweder eine Töpferwerkstatt oder eine Bäckerei.«
»Aber Papa«, wandte Tiers älterer Sohn Jes ein, der auf der anderen Seite des Pferdes ging, »Benroln sagt, wir brauchen Getreide, keine Töpfe und kein Brot.«
»Das ist wahr«, stimmte Tier zu. »So nahe an einer wichtigen Straße werden sie allerdings auch andere Handelsgüter haben.«
»Es gibt einige Bauernhöfe in der Umgebung«, erklärte Lehr seinem Bruder. »Sie werden ihr Getreide hierherbringen,
wenn es besser bezahlt wird, vor allem, wenn sie es sonst zu einem größeren Markt schaffen müssten.«
Jes runzelte verwirrt die Stirn. Vielleicht hatte er Lehrs Erklärung zu kompliziert gefunden - oder etwas anderes lenkte ihn ab.
Es kam Tier beinahe ironisch vor, dass ausgerechnet Jes, der von Kopf bis Fuß aussah wie ein Rederni, den höchsten Preis für das Reisendenblut seiner Mutter zahlen sollte. Der geringere Teil dieses Preises bestand in langsamerem Denken und Sprechen, was ihn einfältig erscheinen ließ, obwohl das nicht wirklich den Tatsachen entsprach.
»Es sieht nicht richtig aus«, sagte Jes einen Augenblick später.
»Was?«, fragte Tier. Jes’ Einwände nachzuvollziehen war manchmal so, als verfolge man den Flug eines Kolibris.
»Die Gebäude.« Jes blieb plötzlich stehen und starrte geradeaus.
Tier zügelte Scheck und versuchte zu erkennen, was wohl Jes’ Aufmerksamkeit geweckt hatte.
»Es kommt kein Rauch aus der Schmiede«, sagte Lehr.
»Das ist es«, erwiderte Jes und nickte auf seine übliche heftige Art. »Schmieden qualmen.«
»Vielleicht arbeitet der Schmied heute nur nicht«, sagte Tier. »Wir werden schon bald dort sein.« Er drängte Scheck voran, aber dabei drückte er ein bisschen zu fest mit den Beinen und konnte sich einen leisen Aufschrei nicht mehr verbeißen.
Der Schatten soll diese Knie holen, die Zauberer, die sie brachen, und die Heilerin, die sie nicht schneller heilen kann!
Letzteres war ungerecht, und das wusste er auch genau. Brewydd hatte ihm gesagt, wenn er Scheck ritte, statt in einem der Wagen zu sitzen, würden seine Knie langsamer heilen. Aber es war schlimm genug zu reiten, wenn die meisten
anderen auf Schusters Rappen unterwegs waren - und er würde sich ganz bestimmt nicht auch noch in einen Wagen setzen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jes, der die Hand zu Tiers Bein gehoben hatte, es aber nicht berührte. »Mutter hat gesagt, ich solle auf dich aufpassen.«
»Nur meine Knie.« Tier lächelte seinen Sohn an, obwohl ihm das rechte Knie wirklich sehr wehtat. »Sie heilen nur langsam. Ich werde eben alt.«
»Mutter glaubt, du strengst dich zu sehr an«, sagte Jes stirnrunzelnd. Offensichtlich war Tiers Lächeln nicht so überzeugend gewesen, wie er geplant hatte.
Sie hatten sich alle angewöhnt, zu viel Aufhebens um ihn zu machen, was Tier gleichermaßen rührend wie ärgerlich fand. Er hätte seine Wunden lieber im Verborgenen geleckt.
»Brewydd meint, eure Mutter macht sich zu viele Gedanken«, sagte er also.
»Und Mutter sagt, du sollst das Heilen der Lerche überlassen«, erwiderte Lehr, aber auch er wirkte beunruhigt. »Brewydd weiß, was sie tut.«
Jes verzog das Gesicht.
»Es geht mir gut«, wiederholte Tier.
Lehr würde das Thema wieder fallen lassen, aber sobald Jes etwas im Kopf hatte, konnte er erstaunlich störrisch sein. Also sah Tier Jes in die dunklen Augen und erklärte mit fester Stimme: »Selbst eure Mutter musste zugeben, dass ich gesund genug bin, um in dieses Dorf zu reiten und um Lebensmittel zu feilschen - das ist schließlich die Aufgabe eines Barden. Wir schulden diesem Reisendenclan schon mehr, als wir je zurückzahlen können, aber ich kann ihnen zumindest gute Preise für die Dinge verschaffen, die sie brauchen, und dafür sorgen, dass sie willkommen sein werden, wenn sie das nächste Mal hier auftauchen. Meine Knie tun mir immer
noch weh, und das wird wohl noch einen oder zwei Monate so bleiben, aber sie sind schon erheblich besser geworden.« Es half, dass dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Jes hätte eine Lüge ohnehin bemerkt.
»Ich mag diese Zauberer nicht«, sagte Jes, und für einen Augenblick lag etwas Dunkles, Fremdartiges in seiner Stimme.
»Ich auch nicht«, sagte Tier, dem es nicht schwerfiel, den Zusammenhang zwischen dieser Äußerung und seinen Knien zu erkennen, denn er hatte gerade dasselbe gedacht. »Aber sie sind jetzt tot und können niemandem mehr
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