Rabenzauber
schmalen Wegs an. Nach dem, was er erkennen konnte, hätte die Spur
von allen möglichen Tieren stammen können. »War es vielleicht ein Waschbär?«
Lehr schüttelte den Kopf. »Das hier ist kein Waschbär. Kein Waschbär hat so große Krallen.«
»Kannst du sehen, wohin die Leute gegangen sind?«
»Jemand ist hier, Pa«, sagte Tole, der das Gesicht gegen einen Riss in der Wand drückte. »Draußen bei der Schmiede. Diesmal sind es Fremde.«
Aliven blickte von dem feuchten Tuch auf, das er seiner Frau auf die Stirn gedrückt hatte. Sie hatte die Augen nicht mehr geöffnet, seit er sie vor zwei Tagen hierhergebracht hatte.
Da ihr Haus sich näher am Brunnen befand als die Schmiede, hatte seine Frau schneller auf den Schrei ihrer Tochter reagieren können. Als Aliven zum Brunnen gekommen war, war Lorra bereits tot gewesen, und seine Frau hatte wild um sich schlagend unter einem dunklen, wilden Tier gelegen. Als das seltsame Geschöpf Aliven bemerkte, lief es davon; zuerst hatte er geglaubt, sein Schrei und der Anblick seines Hammers hätten es in die Flucht geschlagen, aber inzwischen wusste er, wie dumm dieser Gedanke gewesen war. Vielleicht hatte es seine Beute nur deshalb nicht so schnell töten wollen, damit sie nicht verdarb. Wie auch immer, in der Zeit, die er gebraucht hatte, Irna ins Haus zu tragen, war es zurückgekehrt und hatte Lorras Leiche weggezerrt.
Er hatte seinen Sohn zu Tally, dem Vetter seiner Frau, geschickt, der so in seine Töpferarbeit versunken gewesen war, dass er Lorras Schrei nicht gehört hatte. Als der andere Mann zum Brunnen gerannt kam, war das Wesen hinter dem Gartenschuppen vorgestürzt und hatte erneut angegriffen. Wenn Aliven nicht immer noch seinen Hammer dabeigehabt hätte,
hätte das Untier sie beide erwischt, statt nur Tallys Gesicht zu zerkratzen.
Er hatte noch nie gesehen, dass sich etwas so schnell bewegte wie dieses Wesen. Aliven hatte Tally und die beiden Kinder in ihr Haus gebracht und Fenster und Türen verbarrikadiert. Bisher war es dem Untier noch nicht gelungen, die Holzwände einzureißen, aber der Schmied war ziemlich sicher, dass die dünnen Wände es nicht wirklich fernhalten konnten, wenn es schließlich zu dem Schluss kam, dass es hereinwollte.
Es hatte sie immerhin beinahe ins Haus zurückgescheucht, so wie ein gut ausgebildeter Schäferhund Lämmer zusammentrieb. Am Vortag waren ein paar Bauern gekommen, um die Pflugschar wieder abzuholen, die Aliven für sie repariert hatte. Der Schmied hatte sich aus dem Haus gewagt, um sie zu warnen, aber nicht rechtzeitig: Sie waren beide schon tot gewesen und hatten hinter der Töpferwerkstatt gelegen.
Das Untier hatte ihn dort eine Weile bleiben lassen. Aber als er aufgestanden war, hatte es ihn mit Knurren und anderen Geräuschen wieder ins Haus zurückgescheucht, ohne sich dabei sehen zu lassen. Es wollte, dass sie im Haus blieben, bis es wieder Hunger hatte.
Sowohl Irna als auch Tally lagen im Sterben. Die anfänglichen Verletzungen waren schlimm genug gewesen, aber dazu hatte sich auch noch erschreckend schnell eine Infektion ausgebreitet. Irna hatte sich schon seit anderthalb Tagen nicht mehr bewegt, und Tally war seit dem Morgen bewusstlos.
Aliven musste mit dem zurechtkommen, was sie in dem kleinen Haus hatten, und - er benetzte das Tuch vorsichtig wieder - bald würde ihm das Wasser ausgehen.
Vielleicht würden ja diese neuen Leute, die Tole beobachtete, helfen können. Der Sept schickte seine Männer zu Patrouillen
aus, Soldaten, die vielleicht wussten, was mit dem Untier zu tun war.
»Wer ist da draußen?«, fragte er seinen Sohn.
»Ein dunkelhaariger Mann mit ein paar grauen Strähnen im Haar, hochgewachsen wie Daneel. Er hinkt ziemlich schlimm. Sie haben ein Pferd - es ist scheckig wie eine Kuh. Und dann gibt es noch zwei jüngere Männer. Sie sehen aus, als wären sie alle miteinander verwandt. Können sie uns helfen?« Tole blickte hoffnungsvoll auf; Aliven hatte den Kindern nicht von den beiden toten Bauern erzählt.
Er wandte sich von seiner Frau ab und spähte selbst durch den Riss zwischen den Dielen. Tole war zwar noch kein Dutzend Sommer alt, konnte aber gut beobachten. Der ältere Mann und einer der jungen Männer sahen sich ähnlich wie die meisten Väter und Söhne. Der zweite junge Mann hatte ebenfalls ähnliche Züge, aber sein Haar war …
Aliven zog den Kopf zurück und spuckte aus. »Reisende«, sagte er.
»Reisende?« Nona, seine Jüngste, blickte auf und wandte sich von
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