Rabenzauber
hatte nicht neben ihr bleiben können. Seraph fragte sich, ob der Tod von Benrolns Clan sie ebenfalls zornig machte.
Rinnie, die die Reisenden nur aus Geschichten kannte, behielt die Jungen im Auge, während sie kochte. Sie hatte ihre Brüder gerade erst zurückbekommen und würde nicht riskieren, sie wieder zu verlieren.
Seraph wandte die Aufmerksamkeit der Karte zu, die Tier betrachtete. Nach einer Weile und mehreren Blicken auf die anderen Landkarten konnte sie erkennen, dass die etwas dickeren Linien für Straßen stehen mussten.
»Vielleicht sollten wir Willons Karte nehmen«, sagte Tier. »Sie bildet nicht das gesamte Kaiserreich ab, aber gut zwei Drittel. Und wir konnten bereits feststellen, dass sie ziemlich genau ist.«
»Was, wenn sich diese Stadt nicht einmal im Kaiserreich befindet?
«, fragte Rufort, der ältere von Phorans beiden Leibwächtern.
Er war vielleicht ein Jahr jünger als Jes und beinahe so groß und kräftig wie Toarsens Freund Kissel. Wie Kissel vermittelte auch er den Eindruck, ein hartes Leben geführt zu haben, aber Seraph konnte sehen, wieso Tier ihn so sehr mochte.
Rufort hatte etwas Solides an sich, als wäre er jemand, der sein Wort halten würde, selbst wenn es ihn teuer zu stehen käme. In der vergangenen Woche hatte er jede Arbeit auf dem Hof, die Tier ihm zuteilte, willig erledigt.
»Die Tradition sagt, dass Colossae im Kaiserreich liegt«, sagte Hennea, ohne von ihrer Karte aufzublicken. »Aber leider gibt es eine Lücke von mindestens sechshundert Jahren zwischen dem Zeitpunkt, als die überlebenden Zauberer die Stadt verließen, und der Gründung des Reiches, also können wir uns auch darauf nicht vollkommen verlassen.«
Der jüngere Gardist, Ielian, sah auf die Karten und schüttelte den Kopf. »Wozu soll das alles führen? Phoran kam hierher, damit Ihr ihm helft . Nicht, um im Kaiserreich herumgeschleppt zu werden, während Ihr nach einer Stadt sucht, die es vielleicht niemals gab. Ihr wisst nicht einmal, ob es sie immer noch gibt - oder ob sie überhaupt jemals existierte. Es ist eine Geschichte, die ein paar Frauen weitererzählen.« Er sprach nicht von albernen Frauen, aber die Andeutung war klar.
Dann fiel sein Blick auf Seraph, und er sah ihr deutlich an, was sie von seiner herabsetzenden Bemerkung hielt. Statt nachzugeben, wurde er nur wütender. Da Seraph genau das Gleiche tat, wenn sie etwas Dummes gesagt hatte, verstand sie ihn sogar bis zu einem gewissen Grad.
»Ich dachte, wir warten auf die Heilerin …« Er richtete seine Anklage direkt an Seraph. »Aber nun sagt Euer Sohn, sie sei tot. Wahrscheinlich wollt Ihr jetzt, dass wir alle nach
Colossae gehen. Aber wie soll uns das helfen, den Schatten umzubringen, der sterben muss, damit der Kaiser diesen Reisenden fluch loswird?«
Er wusste also ein wenig mehr über Phorans Problem, als Phoran gedacht hatte - oder vielleicht hatte der Kaiser Ielian und Rufort in der vergangenen Woche ja auch mehr erklärt.
»Es ist kein Reisendenfluch«, erwiderte Seraph beinahe freundlich. »Ich könnte Euch den Unterschied gern demonstrieren, wenn Ihr wollt.«
»Benimm dich, Seraph«, sagte Tier, und sie war sicher, dass sie als Einzige die Heiterkeit in seiner Stimme wahrnahm. Er glaubte nicht, dass sie es ernst meinte. Vielleicht hatte er recht.
»Ielians Sorge ist durchaus begründet.« Tier schob seinen Hocker ein wenig zurück, sodass er Seraph und Ielian gleichzeitig sehen konnte - wie ein Schiedsrichter bei einem der Ringkämpfe, die zum Erntefest ausgetragen wurden. »Er kennt weder Brewydd noch Reisendenmagie, und wir haben uns nicht die Zeit genommen, es zu erklären.«
Seraph wippte ungeduldig mit dem Fuß, aber Tier hatte recht. Sie war einfach nicht daran gewöhnt, sich rechtfertigen zu müssen - oder dass man sie als »albern« bezeichnete, und sei es nur in einer Andeutung.
»Also gut«, sagte sie. »Erstens, die Stadt existiert nicht nur in Märchen und Legenden. Ich bin Rabe, Ielian, und eines der Dinge, die ich tun kann, besteht darin, die Vergangenheit eines Gegenstands wahrzunehmen, den ich berühre.«
Phoran, der hinter Ielian stand, sah sie mit vagem Blick an. Seraph hatte inzwischen gelernt, dass dieser Ausdruck bei ihm immer bedeutete, dass er sehr angestrengt nachdachte.
»Als wir diese Landkarten fanden …«
» Ich habe die Karten gefunden …«, meldete sich Rinnie zu Wort, die dabei war, Gemüse zu zerkleinern.
»Als Rinnie die Karten fand«, verbesserte Seraph sich, »habe ich die
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