Rabenzauber
ist ihr Bruder, und sie macht sich nun mal Sorgen. Tier ist nur ein paar Wochen überfällig. Er wird schon kommen.«
»Ja«, stimmte Seraph zu. »Ich sollte lieber gehen.«
»Habe ich nicht gehört, wie du von Honig gesprochen hast?«, fragte er.
»Jes hat letzte Woche welchen im Wald gefunden. Ich habe ein paar Dutzend Töpfe dabei«, antwortete sie. »Aber Alinath schien sich nicht dafür zu interessieren.«
»Hm«, sagte Bandor mit einem Blick zu seiner Frau. »Wir nehmen zwölf davon, für ein halbes Kupferstück pro Topf. Dann gehst du hoch zu Willon und sagst ihm, dass wir ein Kupferstück für jeden Topf zahlen werden, den er dir nicht abkauft. Er wird deinen gesamten Vorrat zu diesem Preis nehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das hier ist der erste Honig in diesem Frühjahr.«
Ohne ein Wort nahm Seraph ihren Rucksack ab, holte zwölf Töpfe heraus und stellte sie auf die Theke. Alinath holte ebenso wortlos sechs Kupferstücke heraus und legte sie neben die Honigtöpfe. Als Seraph die Hand ausstreckte, um das Geld zu nehmen, packte die andere Frau sie am Handgelenk.
»Wenn mein Bruder Kirah geheiratet hätte«, sagte Alinath mit leiser Stimme, die deshalb kein bisschen weniger gewalttätig klang, »müsste er nicht im Winter in die Berge ziehen, um seine Kinder ernähren zu können.«
Seraph riss das Kinn hoch und drehte das Handgelenk, um sich zu befreien. »Es ist beinahe zwanzig Jahre her, seit Tier und ich geheiratet haben. Warum findest du nicht endlich etwas anderes, worüber du dir den Kopf zerbrechen kannst?«
»Ganz meiner Meinung«, sagte Bandor, aber auch in seinem Tonfall lag etwas Hässliches.
Alinath zuckte zusammen.
Seraph runzelte die Stirn, denn sie hatte Alinath noch nie ängstlich gesehen - außer bei jenem einen erinnerungswürdigen Anlass. Und ganz bestimmt war ihr nie jemand untergekommen, der sich vor Bandor fürchtete. Alinath setzte gleich wieder die übliche verbitterte Miene auf, wie sie es Seraph gegenüber
immer tat, und nur ein Aufblitzen von Furcht blieb in ihren Augen zurück.
»Danke, Bandor, für das Geschäft und für den Rat«, sagte Seraph.
Sobald die Tür sich hinter Seraph geschlossen hatte und sie weiter die schmale, gewundene Straße hinaufging, sagte sie leise zu ihrem abwesenden Mann: »Siehst du, was passiert, wenn du zu lange weg bist, Tier? Du solltest lieber bald wiederkommen, oder diesen Ältesten steht eine unangenehme Überraschung bevor.«
Der Gedanke an die Ältesten beunruhigte sie allerdings nicht wirklich. Sie waren nicht dumm genug, Seraph gegenüberzutreten, ganz gleich, was sie für Rinnie für das Richtige hielten. Sobald Tier zu Hause war, würde er ihnen alles ausreden, was Alinath ihnen eingeflüstert hatte. So etwas konnte er gut. Und falls sie sich irrte und die Ältesten tatsächlich versuchten, ihr Rinnie wegzunehmen, bevor Tier zu Hause war … nun, sie mochte in ihrer Pflicht gegenüber ihrem Volk versagt haben, aber sie würde niemals ihre Kinder im Stich lassen.
Nein, wegen Rinnie machte sie sich keine Sorgen - aber Tier war etwas ganz anderes. Tausend Dinge konnten ihn aufgehalten haben, mahnte sie sich. Vielleicht wartete er sogar schon zu Hause auf sie.
Seraphs Wadenmuskeln waren von der Arbeit auf dem Bauernhof fest, aber sie taten trotzdem weh, als sie schließlich vor Willons Laden ganz oben im Dorf stand. Als sie die schlichte Tür öffnete und das Haus betrat, sah sie, dass Willon sich gerade mit einem Fremden unterhielt, der mehrere offene Rucksäcke und Taschen auf dem Boden abgestellt hatte, also ging sie an ihm vorbei und tiefer in den Laden hinein.
Die einzige andere Person dort war Ciro, der Vater des Gerbers, der Saiten auf eine kleine Harfe zog. Der alte Mann
blickte auf, als sie hereinkam, und erwiderte ihr Nicken, bevor er sich wieder der Harfe zuwandte.
Willons Laden war einmal ein Wohnhaus gewesen. Nachdem er es gekauft hatte, hatte er angebaut und ausgehöhlt, bis sein Laden tief in den Berg hinein reichte. Er hatte die dunklen Ecken mit Dingen aus seiner Kaufmannszeit gefüllt - von denen einige wirklich sehr seltsam waren -, und dann hinzugefügt, was er glaubte verkaufen zu können.
Seraph bezweifelte, dass die meisten Leute auch nur wussten, was einige seiner Sammelstücke wert waren, aber sie erkannte Seide, wenn sie sie sah - und das einzige Stück in Redern hing hier an der Wand, hinter einem Regal voll geschnitzter Enten.
Sie hatte selten Geld, um hier etwas zu kaufen, aber sie sah sich
Weitere Kostenlose Bücher