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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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beobachtete, wie die Macht von Tiers Musik den Bann des Schattens langsam zwang, ihn loszulassen. Seraph zog den Edelstein aus ihrem Beutel am Gürtel, in den sie ihn gesteckt hatte, und er fühlte sich in ihrer Hand warm an.
    Der Aufschrei eines Mannes zog ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Schlachtfeld, in welches sich die Bibliothek verwandelt hatte. Sie wusste nicht, ob der Schrei von einem der jungen Männer, einem der Toten oder Tiers Erzählmagie gekommen war. Sie sah, wie der Rote Ernave gegen den Schattenkönig kämpfte, der noch beängstigender war, als sie sich je hätte vorstellen können. Tiers Finger spielten eine stotternde, gequälte Melodie, die ein wenig hinter den Herzschlag zurückfiel, als wäre sie zu erschöpft, um weiterhin im Gleichklang
ertönen zu können. Die stolzen Takte der Heeresmusik wurden durch ihre Verlangsamung plötzlich quälend und schmerzhaft.
    Unter seinem roten Bart sah Ernave ein wenig aus wie Tier, und Seraph nahm an, dass sie vielleicht deshalb weinte, als er am Ende der Schlacht starb. Oder vielleicht war es, weil der Granat in ihrer Hand in winzige Splitter zerbrach und Tier wieder von Kopf bis Fuß in das graugrüne Gewebe seiner Weisung gehüllt war.

18
    » A lso gut«, sagte Tier und spielte Fetzen von Melodien, um die Toten weiterhin fernzuhalten, während er wieder zu Atem kam. »Das ging besser als letztes Mal.«
    Er sah Seraph an. »Etwas ist anders als vorher. Was hast du gemacht?«
    »Diese Frage sollte ich dir stellen«, sagte Seraph. »Du sagtest, du hättest ein paar Dinge gelernt, als du allein im Kerker saßest, aber was du hier geleistet hast, war wirklich außergewöhnlich. Ich weiß, dass Barden die Begabung haben, ihren Geschichten eine Aura der Wirklichkeit zu verleihen. Bisher war mir allerdings nicht klar, wie weit das gehen kann.«
    »Ich habe einen oder zwei Barden gesehen, die mithilfe ihrer Macht Bilder, Anblicke oder Geräusche aufbauen konnten«, sagte Hennea. »Aber niemals einen, der einer seiner Geschichten Wahrheit verlieh.«
    Tier grinste. »Von Wahrheit weiß ich nichts. Aber es ist ziemlich beunruhigend, nicht wahr? Nachdem ich mich bei Schattenfall überzeugen konnte, dass ich die Einzelheiten des Schlachtfelds, auf dem der Rote Ernave starb, richtig beschrieben hatte, als ich die Geschichte zum ersten Mal auf diese Weise erzählte, hätte es mir beinahe das Herz stillstehen lassen. Ich nehme an, ich hätte euch warnen sollen«, sagte er. »Aber ich habe dies nicht mehr versucht, seit es zum ersten Mal funktionierte, und war nicht sicher, ob es wieder so gut gehen würde.« Er sah das Memento an. »Was denkst du?«

    »Du beherrschst die Geschichte jetzt besser«, sagte es. »Du hast keine überflüssige Macht mehr abgesondert, an der andere sich laben konnten.«
    »Und ich bin nicht so in der Geschichte versunken, dass ich gerettet werden musste.« Tiers Finger fanden ein anderes Lied, etwas Leichtes und Luftiges, das die deprimierte Atmosphäre, die der Tod des Roten Ernave zurückgelassen hatte, ein wenig zu beleben schien. »Vielleicht hat es geholfen, Musik hinzuzufügen.«
    »Kissel, wo gehst du hin?«, fragte Toarsen.
    Und tatsächlich, Kissel war aufgestanden und ging langsam auf die Regalreihen zu. »Sie braucht uns«, sagte er. »Hört ihr sie denn nicht weinen?«
    Jes schoss vor, stellte sich Kissel in den Weg und knurrte etwas vor ihnen an.
    Dann hörte Seraph es ebenfalls: das erschütterte Weinen einer Frau.
    Seraph stieg über Tiers Tisch, weil das der kürzeste Weg war, und winkte die anderen zurück, die alle angefangen hatten aufzustehen, um zu helfen.
    »Spiel, Barde«, bat Hennea. »Sing etwas. Etwas Fröhliches.«
    Tier begann mit einem bekannten Trinklied.
    Da Jes ihm den Weg blockierte, hatte Kissel aufgehört, sich zu bewegen, aber ihm liefen Tränen über die Wangen. »Sie ist so traurig«, sagte er. »Warum können wir ihr nicht helfen?«
    Der schwarze Wolf hatte sein dichtes Rückenhaar gesträubt. Seraph bewegte sich langsam an Kissels Seite, denn sie wollte vermeiden, dass er aus reinem Schreck etwas Dummes tat. Er kämpfte offenbar auch selbst gegen den Zauber an, denn sonst wäre er trotz Jes’ Nähe nicht stehen geblieben.
    Mit ihrer magischen Sichtweise konnte sie erkennen, dass eine der Toten nur ein paar Schritte von Kissel entfernt stand, und sie glaubte, dass Jes sie ebenfalls sah, denn er richtete den
Blick auf dieselbe Stelle. Tiers Musik hielt die Tote entweder zurück, oder etwas an der Art,

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