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Rabenzauber

Rabenzauber

Titel: Rabenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
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dar, und umgekehrt. Ich muss wissen, wem ich vertrauen kann.«
    »Wenn ich es herausfinden kann«, stimmte Tier zu und bedachte seinen Kaiser dann mit einem ironischen Grinsen. »Da ich mir ohnehin nicht aussuchen kann, ob ich gehe oder bleibe, kann ich mich ebenso gut auch nützlich machen.«
     
    Nachdem Phoran gegangen war, schlief Tier eine Weile. Er hatte keine Ahnung, wie lange, da seine Zelle kein Tageslicht hatte, es gab nur das endlose Glühen der Steine, die sie beleuchteten.
    Heimweh brachte ihn wieder auf die Beine. Enttäuschung ließ ihn auf und ab gehen. Er hatte Phoran nicht gefragt, ob er Seraph eine Botschaft schicken könnte. Seine Zunge weigerte sich einfach, die Worte zu formen.
    Bei Kormoran und Eule binde ich dich, damit du niemanden bitten wirst, dir bei der Flucht zu helfen … Seraph würde ihm helfen zu fliehen, wenn sie könnte. Er nahm an, das genügte, um Telleridges Magie zu wecken.
    Wenn Seraph wüsste, wo sie ihn finden würde … aber das
tat sie nicht. Wahrscheinlich hielt sie ihn nach all dieser Zeit für tot.
    Er würde wahrscheinlich sterben, ohne sie noch einmal wiederzusehen. Etwas an Telleridges Arroganz sagte Tier deutlich, dass hier schon viele Reisende getötet worden waren.
    Tier schloss die Augen und lehnte das Gesicht gegen die kalte Steinmauer. Ohne die Ablenkung durch seine Augen konnte er Seraphs Bild tief in sein Herz ziehen. Eulengedächtnis nannte sie es, wenn er sich an das kleinste Gespräch genau erinnern konnte, das er Monate zuvor geführt hatte. Begabt, hatte sein Großvater gesagt, als er ein Lied schon nachspielen konnte, wenn er es nur einmal gehört hatte. Gesegnet, dachte er jetzt und stellte sich das blasse Kind vor, das Seraph gewesen war, als er sie zum ersten Mal sah. Es war ein Segen, an einem solchen Ort seine Erinnerungen in seinem Herzen bewahren zu können.
    Vor seinem geistigen Auge malte er sich nach und nach ihr Gesicht aus, wie es damals ausgesehen hatte. Er liebte die Biegung ihrer Schulter und die seltsam helle Farbe ihres Haars.
    Stolz, dachte er, sie war so stolz. Es zeigte sich in der störrischen Haltung ihres Kinns, das sie trotzig gegenüber den Männern in der Schänke erhob. Er konnte den blauen Fleck an ihrem Handgelenk sehen, wo der Wirt sie gepackt und aus dem Bett gezerrt hatte.
    Er war damals schon fasziniert von ihr gewesen, dachte er wie schon so oft. Im klaren Licht seiner Erinnerung konnte er sehen, wie jung sie gewesen war, kaum mehr als ein Kind, und dennoch hatten sie weniger als eine Jahreszeit später geheiratet.
    Er wandte sich von dem Luxus ab, den seine Zelle ihm jetzt bot, setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er erinnerte sich an den Augenblick, in dem er gewusst hatte, dass er sie liebte.
    Zwei Tage nach der Geburt von Jes war Tier aus der
Scheune gekommen und hatte Seraph auf dem Bett sitzen sehen, schnurgerade aufgerichtet, die Arme schützend um Jes geschlungen.
    »Ich muss dir etwas sagen«, verkündete sie so liebenswert wie ein grantiger Igel.
    Er zog den Mantel aus und hängte ihn auf. »Also gut«, sagte er und fragte sich, wie es ihm jetzt schon wieder gelungen war, sie zu verärgern.
    Sie kniff die Augen zusammen und sagte ihm, dass ihr Sohn ein Hüter sei. Sie erklärte, wie schwer es Jes fallen würde, ein Gleichgewicht zwischen seinen Tag- und Nachtpersönlichkeiten zu finden.
    »Wenn er ein Mädchen wäre, hätte er bessere Möglichkeiten«, sagte sie mit der kalten, klaren Stimme, auf die sie immer zurückgriff, wenn sie wirklich erschüttert war. »Männliche Hüter scheinen nach der Pubertät das Gleichgewicht seltener halten zu können. Wenn sie den Verstand verlieren, werden sie jeden umbringen, der ihnen in den Weg gerät, außer ihren Schutzbefohlenen. Sobald das passiert, muss man sie töten, weil man sie nicht gefangen halten kann.«
    Jes begann zu wimmern, und sie lehnte ihn gegen die Schulter und wiegte ihn sanft - und hielt Tier mit der Kraft ihres Blickes auf Abstand. »Ich hatte einen Bruder, der ein Hüter war; wir hatten ihn von einem anderen Stamm adoptiert. Hüter werden oft anderen Clans gegeben, um sie großzuziehen, weil die normalen Bedenken von Eltern die Last des Hüters nur noch vergrößern. Es ist eine Ehre, einen Hüter großzuziehen, und kein Clan würde diese Ehre ablehnen.«
    Seinen Sohn aufgeben? Der Schock dieses Vorschlags zerriss die Betroffenheit, die ihn befallen hatte, als er erkannte, welch schreckliches Schicksal die Götter

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