Rabenzauber
Bett und rollte den Ärmel hoch. »Es kommt jede Nacht«, erklärte er und zeigte Tier die verblassten Narben innen an seinem Handgelenk und Unterarm, die bis in die Ellbogenbeuge aufstiegen.
»Wenn es sich gesättigt hat, sagt es mir, es sei mir im Gegenzug eine Antwort auf eine Frage schuldig. Für gewöhnlich sind seine Antworten nicht besonders nützlich. Heute Nacht
fragte ich, ob es jemanden kenne, der mir etwas über das Land des Sept von Gerant sagen könne, und es brachte mich hierher.«
Tier sagte: »Ihr glaubt, Ihr habt sie beobachtet, als sie einen gefangenen Reisenden umbrachten.« Er dachte darüber nach. »Und ich denke, Ihr habt recht - wie viele Gruppen von Männern in dunklen Gewändern treiben sich hier im Palast herum und bringen Leute um?«
»Es könnten gut fünf oder zehn sein«, erwiderte er. »Aber den wenigsten wird es gelingen, etwas wie das Memento heraufzubeschwören oder zu erschaffen.« Er zeigte auf seinen dunklen Begleiter. »Das ist Zauberei.«
Tier nickte. »Ich bin kein Zauberer, aber ich hatte schon mit welchen zu tun. Wenn dieses Geschöpf aus dem entstanden ist, was sie taten, werden sie Vorkehrungen getroffen haben, damit es keinem von ihnen folgt. Vielleicht mithilfe von Magie. Das würde bedeuten, dass Ihr der einzige Anwesende wart, dem es folgen konnte.«
Er stand auf und ging auf das Memento zu. Seine Augen wollten sich nicht so recht darauf konzentrieren und erinnerten ihn deutlich daran, wie Jes mit den Schatten verschwimmen konnte, wenn er es darauf anlegte.
»Woher wusstest du, dass ich die Fragen des Kaisers heute Nacht beantworten konnte?«, fragte Tier.
Das Ding verlagerte ruhelos das Gewicht. »Du hast mich mit Wahrheit genährt«, sagte es schließlich. »Ich kenne dich, wie ich Phoran kenne, den siebenundzwanzigsten Kaiser dieses Namens.«
»Ich habe dich genährt?«, fragte Tier.
»›Zahllos waren die Helden, die fielen‹«, flüsterte das Memento mit einer ganz anderen Stimme als zuvor; sie klang plötzlich nicht mehr tonlos. Die Veränderung war bemerkenswert.
» Du warst mein Zuhörer?«, fragte Tier.
»Ich war der Kerine zu deinem Roten Ernave«, stimmte das Memento zu.
»Was bist du sonst noch?« Tier machte einen Schritt näher auf das Wesen zu.
»Ich bin Tod«, sagte es und verschwand.
»Habt Ihr verstanden, was es meinte?«, fragte Phoran.
Tier rieb sich die Hände. »Nur einen Teil davon«, sagte er. »Offenbar nährt es sich auch von anderen Dingen als von Blut. Ich habe ihm eine Geschichte erzählt, und es nahm sich mehr, als ich anbot - deshalb wusste es auch, dass ich einmal einer von Gerants Offizieren war.«
Er hatte in seiner Geschichte Magie heraufbeschworen - mehr Magie, als er je zuvor gespürt hatte -, und erst kurz danach hatte Telleridge ihm mitgeteilt, dass seine Magie eingedämmt worden war. Er hatte geglaubt, Telleridge hatte damit sagen wollen, dass sie ihm seine Magie genommen hatten - aber vielleicht ging es um etwas Subtileres.
»Würdet Ihr mich bitte belügen?«, bat er Phoran.
»Mein Hengst ist kuhhessig«, sagte der junge Mann sofort und schien sich über den abrupten Themenwechsel nicht zu wundern. »Um was geht es Euch denn?«
»Hm«, murmelte Tier. »Ich habe falsch verstanden, was Telleridge meinte, als er sagte, sie hätten meine Magie eingedämmt. Ich kann immer noch hören, ob Ihr mich anlügt - aber bei Telleridge oder Myrceria funktionierte es nicht.«
»Eure Magie wirkt, aber nicht bei Angehörigen des Pfads«, schloss Phoran.
»So sieht es aus.«
»Ich habe noch zwei weitere Bitten, bevor ich gehe«, sagte Phoran. »Erstens bitte ich Euch, niemandem von dem Memento zu erzählen.« Er schenkte Tier ein trostloses Lächeln. »Es ist für mich mehr als ein gesellschaftliches Problem. Wenn
auch nur ein Hauch davon herauskommt, droht mir das Scharfrichterbeil. Das Kaiserreich kann die Lektionen, die es vom Schatten gelernt hat, nicht vergessen: Der Kaiser muss frei von Magie sein.«
»Ohne Eure Erlaubnis werde ich es niemandem verraten«, versprach Tier.
»Und dann möchte ich Euch bitten zu sehen, ob Ihr Euren Sept, Avar, den Sept von Leheigh, beim Geheimen Pfad finden könnt.« Er seufzte. »Telleridge ist eine Spinne, die das Tageslicht meidet, wenn sie ihre Netze spinnt, und die vielleicht Freunde und Feinde in tödlichem Ernst aufeinanderhetzt, ohne dass sie auch nur wissen, wessen Fäden sie hierhin und dahin ziehen. Wenn er mit dem Geheimen Pfad zu tun hat, stellen sie eine Gefahr für mich
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