Rabinovici, Doron
Insuffizienz der
Niere herrührten oder ob — im Gegenteil - das Organ durch die anderen
Beschwerden außer Tritt geraten war. Solch ein Syndrom könne durch eine
Verquickung mehrerer Gebrechen ausgelöst werden, die einzeln gar nicht
aufgefallen wären, aber zusammen einen Zusammenbruch der Physis bewirkten. Mit
elektronischen Geräten rückte man Felix Rosen zu Leibe, und sein Blut wurde
chemischen Analysen unterzogen, aber die Mediziner fanden nicht den Grund für
seine Schmerzen.
Er war den ganzen Tag im
Krankenhaus geblieben. Der Vater hatte sich wiederholt erkundigt, weshalb er
nach Tel Aviv gekommen sei. Ob es denn bereits so schlimm um ihn stehe? »Sag es
mir, Ethan. Ich will wissen, falls ich bald sterbe. Ich habe ein Recht darauf.«
»Ich beruhigte ihn. Gegen mein
eigenes Gefühl. Ich habe ihm vom Nachruf auf Dov erzählt, von meiner Antwort
... alles nur, um ihn abzulenken ... und auch von dir ... um ihn auf andere
Gedanken zu bringen. Aber es war, als höre er mir gar nicht zu. Nur als ich von
Klausingers Artikel erzählte, zeigte er Interesse. Doch dann wollte er wieder
wissen: »Aber warum hast du denn die Stelle in Wien aufgegeben, Ethan?« — Ich
sprach von uns. Das überzeugte ihn nicht. Mich übrigens auch nicht. Wir haben
doch beide in Osterreich gewohnt. Zwei Israelis hatten es vorgezogen, an der
Donau zu leben. Du und ich wollten uns von hier fernhalten. Wir hätten in Wien
bleiben oder an irgendeinem anderen Ort auf dieser Welt leben können. Weder du
noch ich mußten umziehen. Niemand von uns kann seiner Arbeit nur hier
nachgehen. Im Gegenteil. Du bist ungebunden und international vernetzt.
Aufträge kannst du in jeder Metropole entgegennehmen und ausführen. Bei mir
ist es umständlicher. Ich brauche eine Universität, eine Forschungsstelle, und
es gäbe für mich andernorts bessere Angebote und Möglichkeiten. Warum zu zweit
nach Tel Aviv? Wozu diese Anstrengung? Migration im Doppelpack. - Vater wollte
wissen, was du machst. Und kaum antwortete ich, verstand ich selbst nicht
mehr, was diese Rückkehr soll. Wir könnten in vielen Ländern arbeiten, aber in
wenigen unter so schwierigen Bedingungen wie hier. Ja, Tel Aviv ist wunderbar,
aber nur für Besucher. Die Sonne. Das Meer. Aber das Leben? Ich frage dich:
Gibt es nicht billigere, friedlichere, sicherere Orte? Und mein Vater, der
immer nur gewollt hatte, ich möge hierherkommen, der nur von Zion sprach und
mir erklärte, wie sehr er darunter leide, daß ich seinen Wandertrieb geerbt
habe, sah mich an, als mache er sich Sorgen um mich. »Jetzt ist eine schwere
Zeit«, sagte er. Als wäre es hier sonst so leicht. Ich widersprach ihm nicht.
Ich bin erst kurz im Land, aber schon will ich wieder weg. Es ist wie eine
Allergie. Kaum trete ich aus dem Flughafen, sehe die ganze Mischpoche, die
versammelte Sippschaft, diesen Mischmasch aus Gott und Ghetto, aus Kitsch und
Kischkes, sehe dazu diesen Apparat, für den die permanente Ausnahmesituation
die einzige Normalität ist, die Sicherheitsleute, die Soldaten, fällt mir das
Atmen schwer. Dann diese Hast, diese Anspannung, die jeden sofort in Beschlag
nimmt. Wo hast du sonst noch das Gefühl, jeder renne, wenn er nur zum Parkplatz
eilt oder Geld abheben will, um sein nacktes Leben. Jede Geste wird ausgeführt,
als ginge es um einen Notfall. Alle greifen und grapschen zu, als müßten sie
dauernd eine Reißleine ziehen. Sie glauben sich im Absturz. Immerzu. Nicht, daß
die Leute hier konformistischer sind als anderswo. Im Gegenteil; jeder ist
davon überzeugt, er sei der einzige, der weiß, woher die Rettung kommen muß.
Jeder erzählt dir, alle anderen irren und rasen in den Abgrund. Nein, es
herrscht nicht Konformismus, sondern Paranoia. Eine Volkskrankheit im doppelten
Sinn des Wortes, die alle aus der Ferne mitgebracht haben, die auf den dortigen
Erfahrungen gründet und der sie auch hier weiter erliegen. Nein, nicht ohne
Grund, denn wir sind schließlich im Nahen Osten, aber, verstehst du, dieser
Verfolgungswahn, der in der Diaspora unsere Folklore war und nötig zum
Überleben, erreicht hier eine kritische Masse. In Wien vergesse ich immer, wie
beengt ich mich hier fühle. Nicht nur das. Wenn mir dort einer mit solchen
Eindrücken kommt, wenn der davon redet, in dieser orientalischen Ecke gebe es
einfach zu viele von uns auf einem Fleck, dann setze ich dem zu, bis ihm Hören
und Sehen vergeht. In diesen Momenten vergesse ich mich und all jene Gedanken,
die mir selbst nicht fremd sind,
Weitere Kostenlose Bücher