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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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bereit, ihnen zu helfen, wenn sie in Not geraten waren. All das schaffte
er, ohne je angestrengt zu wirken, weil er in seinem Beruf aufging und die
Arbeit zu genießen wußte.
    So war es kein Wunder, wenn
sein Zimmer im Krankenhaus zu einer Art Feldlager wurde, als wäre er der
Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Krankheit, ein General, der die Ärzte wie
Kampfkameraden anfeuerte, ein Napoleon, der das gesamte Personal beim Vornamen
kannte, er, Felix Rosen, der Held der medizinischen Abteilung.
    »Diesmal ist es anders.« Der
Vater lag da, zwanzig Jahre nach jener Operation am Magen, fünfzehn Jahre, nachdem
ihm die Niere seiner Frau eingepflanzt worden war. Er krümmte sich vor Schmerz.
Stöhnte. Und dann ächzte er noch einmal: »Diesmal ist es anders.« Er bat um
Schmerzmittel. Ethan holte Hilfe. Ein Arzt wollte wissen, wo genau es weh tue
und wie, aber Felix Rosen antwortete auf keine Frage, sondern erzählte von der
Dialyse, murmelte etwas von der Beschaffenheit seines Blutes, erzählte vom
Mangel an Appetit, er, der geborene Wiener - er wisperte die Namen typisch
österreichischer Mehlspeisen, Powidltatschkerln, Zwetschkenknödel,
Brandteigkrapferl, Esterhazyschnitten, Guglhupf, Topfengolatsche, Mohnnudeln.
Nie hatte er darauf ganz verzichtet, trotz der Verbote. Aber vor einigen Tagen,
den Milchrahmstrudel seiner Frau, er hatte ihn nicht einmal angeschaut, beim
bloßen Anblick sei ihm kotzübel geworden. Milchrahmstrudel! Wieviel davon
hatte er einst verdrücken können.
    Ethan merkte, daß der Alte am
Arzt vorbeisprach, er unterbrach den Vater, er möge doch auf die Fragen eingehen,
aber der Mediziner sagte: »Was heißt? Was mischst du dich ein? Felix ist es,
der hier liegt und leidet. Deshalb hat er alles Recht, zu erzählen, wie es ihm
geht und was ihn quält. Du kannst stolz sein auf deinen Vater. Was für ein
wunderbarer Mann!« Der Internist nannte den Kranken Felix, als kenne er ihn
seit Jahrzehnten, als habe er mit ihm persönlich im Unabhängigkeitskrieg
gekämpft. »Wenn es zu schlimm wird, bitte die Schwester um eine Infusion. Aber
Vorsicht! Wegen der Nebenwirkungen.«
    Dina versprach, sie werde
Felix nicht aus den Augen lassen und notfalls Alarm schlagen.
    Die beiden waren eine
verschworene Gemeinschaft, waren es immer gewesen, hatten zusammen ausgiebig gelitten
und gefeiert. Ein Paar, seit sie einander zum ersten Mal begegnet waren. Längst
konnten sie nicht mehr ohne den anderen sein. Voneinander getrennt,
vereinsamten sie selbst dann, wenn sie von Freunden umgeben waren. Sie konnten
nur noch in Symbiose leben. Über die Rosens wurde gesagt, sie würden Feste
feiern, wie die Gäste fallen, und zwar unter den Tisch. Wenn sie auftischten,
gab es einen Vorspeisenteller, Suppe, ein Fleischgericht, dem ein Fisch folgte,
worauf zwei verschiedene Torten serviert wurden, und wer noch Unglück hatte in
seinem Glück, eingeladen zu sein, der mußte auch vom Kompott probieren, ehe
der Käse kredenzt wurde. Felix war es, der einkaufte, während Dina tagelang in
der Küche arbeitete. Er streifte über die Märkte und suchte Läden auf, in denen
er geschätzt wurde. Hier war bekannt, welche Fische er bevorzugte, welches
Fleischstück wie für ihn vorbereitet werden mußte, hier konnte er sich darauf
verlassen, nur das Beste zu bekommen.
    Niemand konnte ausgiebiger
alle Freuden und allen Kummer auskosten. Zuweilen schluchzten sie ganze Nächte
aneinandergeschmiegt, und zwar laut genug, um ihren Sohn, der auf der anderen
Seite der Wand im Bett lag, aufzuwecken, aber es konnte auch geschehen, daß sie
zusammen zu singen begannen und nicht damit aufhörten, eben weil sie sich
erinnerten, was sie alles gemeinsam durchlebt hatten. Sie waren die Widerlegung
des Sprichworts, geteiltes Leid sei halbes Leid, denn bei ihnen wurde alles -
ob gut oder schlecht - verdoppelt.
    Diese Bindung war durch die
Nierenspende nicht schwächer, sondern noch fester geworden, als wären sie nun
zu einem Organismus, zu siamesischen Zwillingen zusammengewachsen, aber die
Machtverhältnisse waren seither ein wenig verlagert. Die Mutter wirkte nun ruhiger,
womöglich befreiter, auf jeden Fall aber erleichtert. Sie hatte ein Stück von
sich hergeschenkt, das zum Unterpfand ihrer Freiheit und Souveränität geworden
war. Es war immer so gewesen, als stünde sie in Vaters Schuld. Ethan hatte oft
darüber gerätselt, woran das lag, und ihm schien, als habe sie sich mit der
Transplantation entlastet und erlöst. Erst jetzt, da er stundenlang bei

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