Rabinovici, Doron
Ihrem Freund einziehen
... Wäre es nicht besser, gleich größer zu denken? Bleiben Sie nicht im Land?
Denken Sie nicht an Ehe? Wollen Sie keine Kinder? Warum nicht? Sie haben doch
genug Geld. Wollen Sie nicht mehr investieren? Wir haben einige wunderbare
Objekte in Jaffa. Ein altes arabisches Haus. Wunderschöne Mauern. Aber keine
Angst: ganz neu renoviert. Modernste Technik. Die ganze Straße wird umgebaut.
Früher waren das Bruchbuden. Jetzt ist die Gegend in. Viele junge Familien aus
Tel Aviv gehen dahin.«
Der Mann roch nach einer
Mischung aus Parfüm und Sperma. Er drängte Noa seine Visitenkarte auf. Sie nahm
sie mit spitzen Fingern. Draußen rief sie eine Freundin an. Sie sei wieder im
Land und suche nach einer Bleibe.
Seine Garconniere in der
Rechov Basel hatte Ethan an einen Chemiker aus England untervermietet. In der
Dachwohnung, die Nurith ihnen für die Dauer ihrer Amerikareise überlassen
hatte, konnten sie nur vier Wochen bleiben. Bei Ethans Mutter
unterzuschlüpfen, hatte Noa abgelehnt, obgleich Dina Rosen ihr ausrichten ließ,
dort sei genug Platz für sie und ihren Sohn. Gar kein Problem! Zwei
Badezimmer, zwei Schlafzimmer und neben der Küche, dem Salon und der Eßecke
noch ein separater Arbeitsraum, den Noa mit niemandem außer ihm teilen müßte.
Sie hatte den Vorschlag
zurückgewiesen. Sie wollte mit ihm allein sein. Ihre eigene Familie versuchte,
sie zu vereinnahmen, da brauchte sie nicht auch noch die Überforderungen
seiner Mischpoche. Es war schwer genug, die eigene Blase auf Distanz zu halten.
Jeder Besuch bei ihrer Mutter, so Noa, zehre sie auf. Es sei, als würde sie mit
Haut und Haaren verschlungen. Die Speisen schmeckten, aber die Dosis mache
bekanntlich das Gift. Nicht bloß die Menge an Essen, auch das Übermaß an Liebe
verwandle den Leckerbissen zum Fraß. Ihren Vater, längst von der Mutter
geschieden, traf sie hingegen nur im Zwischendurch, in einem Cafe oder einem
Laden. Immer war er in Eile, als wäre er auf der Flucht.
Wenn sie sich längere Zeit bei
ihren Verwandten aufhielt, mußte sie nachher immer wochenlang abspecken. Ihre
orientalischen Angehörigen waren - anders als jene Ethans - zwar keine
Überlebenden, aber nicht weniger fürsorglich. Hier wurde jede Rückkehr zum
orgiastischen Empfang, zum nahöstlichen Mulatschag. Seine Verwandten zählten
viele Tote - Ermordete, die ihm bei jedem Bissen über die Schulter schauten.
Ihre Großtanten und Großonkel aus Hebron und Marrakesch waren Heimgegangene
anderer Art, weilten unter den Lebenden und waren dennoch dahin. Ihrem
Großvater, Stammhalter des jüdisch-palästinensischen Zweiges, kam das
Geburtsland fremd vor, seitdem es zur Heimat Israels geworden war. Er kannte
sich darin nicht mehr aus, aber je verlorener er sich fühlte, um so verbissener
haßte er alle Feinde des Staates.
Der Alte war empört gewesen,
als sie ankündigte, nach Wien zu ziehen. Jahrhundertelang waren die Levys doch
in Zion geblieben. Wozu gerade jetzt in die Diaspora gehen? Hatten die Alten
durchgehalten, damit die neue Generation, die Kinder Israels, wegliefen,
sobald sie endlich wieder Herr im eigenen Land waren? Ihre Liebe war von der
Familie als Verrat am ganzen Volk, an Ben Gurion und König David
höchstpersönlich angeklagt worden. Aber sie hatte dagegen rebelliert. Warum,
hatte sie damals gefragt, konnten sich die Juden hier nicht endlich in eine
Nation wie jede andere verwandeln? Mußte sich denn ein Finne, ein Italiener,
ein Türke rechtfertigen, wenn er beschloß, in Wien zu leben? Sie hatte die
Enge nicht mehr ertragen. Und sie war damals, vor zehn Jahren, nicht nach Wien
gegangen, um jetzt zurück ins ehemalige Kinderzimmer verfrachtet zu werden.
Sie sahen einander kaum. Ethan
mußte sich um den Vater kümmern. Hinzu kamen die beruflichen Umstellungen. Sie
waren beide beschäftigt. Keiner warf es dem anderen vor. Allein verbrachten sie
die Tage. Nachts kamen sie zusammen. Vielleicht war es die Art, wie sie in ihm
einen anderen sah. Vielleicht war es die Art, ihn anzuschauen, die Art, wie
sie dabei den Kopf hob. Er wußte nicht, was an ihr ihn so atemlos machte, was
an ihr ihn nicht atemlos machte. Im Dunkeln nannte sie ihn Johann und Rossauer.
Bei ihr konnte er außer sich sein. Nachher wußte er nie, wieviel Zeit vergangen
war. Es brauchte einige Herzschläge, bis er verstand, wo er war. Der rotgetigerte
Kater mied ihr Schlafzimmer.
Die Ärzte, so Ethan, wüßten
nicht, woher die Schmerzen kamen. Unklar war, ob sie von der
Weitere Kostenlose Bücher