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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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sobald ich wieder in Israel bin. Doch als Abba
sich so sehr wunderte, daß ich zurück im Land bin, erinnerte ich mich an
nichts, was ich einem Österreicher auf eine solche Frage geantwortet hätte.
Ich sah zu Boden und zuckte mit den Achseln, und dann meinte ich: Aber ich habe
doch bloß einen einzigen Vater. Dabei drückte ich ihm seine Hand, und er
schaute mich groß an.«
     
    Am nächsten Morgen sagte Ethan
alle Termine ab. Er würde, schrieb er nach New York, nicht zum Vortrag kommen
können. Er entschuldigte sich bei der Kollegin in Rom. Er könne das Seminar
dort nicht halten. Familiäre Gründe. Er verzichtete auch auf das Wochenende im
französischen Schloß. Er ließ die Konferenz in Antwerpen aus. Er sagte das
Symposium in Berlin ab. Er könne nicht nach Budapest zum Beirat fahren. Es täte
ihm furchtbar leid, aber er sehe sich nicht imstande, nach Breslau zu kommen.
Er meldete sich einfach ab. Es war, als liege nicht sein Vater im Sterben,
sondern er selbst. Er gab eine berufliche Todeserklärung ab. Er rief nicht
einmal die Universität an, um seinem Institut mitzuteilen, daß er wieder im
Land war. Er habe keine Zeit und keinen Kopf dafür.
    Vier Tage nach seiner Ankunft
sandte er zum ersten Mal in seinem Leben eine E-Mail, in der er mitteilte, er
sehe sich nicht in der Lage, den bereits angekündigten Artikel zu verfassen.
Ein Krankheitsfall. Und nachdem er diese ihm so unangenehme Verpflichtung
hinter sich gebracht hatte, fühlte er sich so erleichtert, daß er denselben
Text gleich noch an alle anderen Zeitschriftenredakteure und Herausgeber
schickte, denen er versprochen hatte, in den nächsten Wochen Beiträge zu
liefern.
    Er schrieb auch einen
offiziellen Brief an Wilhelm Marker, in dem er noch einmal ausführte, daß er
die Stelle am Wiener Institut nicht antreten werde, aber nicht des Eklats mit
Rudi Klausinger wegen, sondern um für seinen Vater dazusein. Nachdem er das
Dokument ausgedruckt hatte, klappte er den Laptop zu. Zur Post, antwortete er
Noa, als sie fragte, wohin er denn gehe.
    Er stellte sich an. Nur zwei
von sechs Schaltern waren geöffnet. Eine lange Schlange. Eine alte Frau drängte
sich vor: »Laßt mich vor. Ich schicke es Expreß.«
    »Na und? Glaubst du, ich kann
fliegen, weil ich Luftpost aufgebe? Stell dich hinten an. Expreß meint, daß
der Brief schneller vorankommt, nicht du.«
    Ein anderer mischte sich ein.
»Regt euch nicht auf. Es geht um einen Brief, nicht ums Leben.«
    Aber der erste antwortete:
»Wieso denn? Bin ich ein Freier?« Ein Freier, das war ein Lieblingsbegriff im
Land.
    Das Wort aus dem Deutschen
bezeichnete auf hebräisch jene, die großherzig und spendierfreudig bis zur
Selbstaufgabe waren, und seit einigen Jahrzehnten wollte das keiner mehr sein
in Israel. Kibbuzniks waren vielleicht einst Freier gewesen. Die Chaluzim, die
Pioniere, die sich für ihre Ideen aufgeopfert hatten, mochten womöglich Freier
gewesen sein, jetzt waren das Gestalten, denen nicht zu trauen war, sei es,
weil sie dumm waren oder weil sie in Wirklichkeit verborgene Ziele verfolgten.
    Nachher kaufte Ethan ein paar
Gurken beim Gemüseladen gegenüber. Der Verkäufer sagte: »Schau dir bloß diesen
Salat an. Das wächst in unserem Land. Ist es nicht herrlich? Was für ein
wunderbarer Staat. Hier, nimm das in die Hand. Willst du es kosten? Wenn du das
ißt, weißt du, daß es einen Gott gibt. Daß der Messias kommt. Glaubst du denn
nicht auch, daß der Messias kommt?«
    »Ändert meine Antwort irgend
etwas an dem Preis der Gurken?«
    »Natürlich nicht!«
    »Na, eben!«
    Der Verkäufer fragte, ob er in
der Gegend wohne und was er arbeite, dann wandte er sich ab, um einen anderen
Kunden zu bedienen.
    Noa simste ihm eine Nachricht:
»Lust auf Sushi?«
    »Keine Zeit. Besuche Vater«,
tippte er zurück.
    Mit dem Taxi fuhr er in die
Klinik. Kaum hatte er sein Ziel genannt, wollte der Fahrer wissen, ob er denn
krank sei, weshalb er unbedingt dahin wolle. Eine Kaskade von Fragen, und jede
Antwort führte zur nächsten Erkundigung. Danach erzählte der Chauffeur von seinen
Leiden, derentwegen er sein früheres Geschäft, einen Kiosk, aufgegeben hatte.
Er fragte Ethan nach dessen Arbeit, und als er hörte, wo er in den letzten Monaten
gelebt hatte, sagte er: »Wie konntest du dort wohnen? Die sollen alle
Antisemiten sein. Müssen die Juden da nicht um ihr Leben fürchten?« Erst als Ethan
ihm versicherte, es werde in Osterreich keinem Juden ein Haar gekrümmt, erstarb
das Gespräch, und der

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