Rabinovici, Doron
Felix
saß, fragte er ihn: »Ist es nicht schwer, ausgerechnet mit Imas Niere leben zu
müssen?«
Der Vater zuckte die Achseln:
»Zunächst war ich dagegen. Ich hatte Angst. Im Lauf der Jahre lernt man die
Schicksalsgenossen und ihre Geschichten kennen. Im Krankenhaus, bei der
Dialyse. Eine Frau gab ihre Niere dem Mann, und danach verließ sie ihn. Gleich
nach der Operation. Stand vom Bett auf und ließ sich scheiden. Bei einem
anderen Paar war es der Empfänger. Er fühlte sich unter Druck gesetzt. Er
sagte mir, er könne sie nicht mehr aus freien Stücken lieben. Er hat sie - die
ganze Verwandtschaft war empört - nach der gelungenen Transplantation sofort
verlassen. Ja, ich hatte Angst. Was, wenn das Organ nicht richtig arbeitet?
Was, wenn es abgestoßen wird? Ich hatte von den Vorwürfen gehört, die danach
erhoben werden! Ein Spender fühlte sich als Ganzes abgelehnt. Er war bereit
gewesen, einen Teil von sich für sie zu opfern, und sie, sagte er, nehme es
einfach nicht an. Schuld seien ihr Mangel an Liebe und das ewige Mißtrauen. Der
Mann sagte seiner Frau: Du hast mich nie akzeptiert, hast dich mir immer schon
versperrt, auch beim Sex. Es sei kein Wunder, wenn sie seine Niere nicht möge.
Ja, er meinte tatsächlich, sie möge seine Niere nicht. Er tat so, als handle es
sich um eine Frage der Zuneigung zwischen seiner Niere und ihrer Leber. Es ist
verrückt: Plötzlich reagiert man allergisch aufeinander. Er wird zu ihrem
Antikörper und sie zu seinem. - Nicht nur ich, auch Dina hörte von solchen
Fällen, aber sie fürchtete sich nicht. Sie hatte Angst davor, mich sterben zu
sehen. Nur die Geschichte eines jungen Ehepaares beschäftigte sie sehr. Er
spendete ihr eine Niere, die nicht gesund war. Eine Wucherung war übersehen
worden und wurde erst nach der Operation als Krebs erkannt. Der Mann hatte
seiner Frau ein von bösartigen Zellen befallenes Organ überlassen. Beide
starben hier in diesem Krankenhaus, erst sie, dann er.«
Vor der Transplantation hatten
die Rosens von außen verhärtet gewirkt, nun war da nichts Verkrampftes mehr zu
bemerken. Felix und Dina waren sehr zufrieden mit sich. Durch die Aufteilung
ihrer Nieren war er zu ihrer und sie zu seiner besseren Hälfte geworden.
Er werde, sagte Ethan, am
nächsten Morgen wiederkommen. Und er wolle von nun an jeden Tag da sein und
sich um Vater kümmern.
»Was ist denn mit deinen
Vorlesungen, deinen Symposien und Seminaren?« fragte Felix Rosen.
»Mach dir über meine Arbeit
keine Gedanken. Du mußt jetzt gesund werden.«
Dina widersprach: »Du mußt
arbeiten. Ich bin bei Felix.«
»Ich auch, Ima. Ich komme
morgen früh.«
»Es ist der Tod«, sagte Ethan.
Er kam erst spät nach Hause. Er sehe es dem Vater an. Der Blick werde trübe.
Die Augen versänken, die Wangenknochen träten hervor. Das Gesicht werde zur
Maske.
Sie glaube das nicht, meinte
Noa. Felix sei ein Kämpfer. Der dürfe noch lange nicht abgeschrieben werden.
Er würde gerne weinen, aber
aus irgendeinem Grund könne er nicht, so Ethan. Es sei wie bei einem Beinbruch.
Der Schock betäube den Schmerz. Eigentlich verstünde niemand so recht, was
seinem Vater fehle. Die Niereninsuffizienz führe nicht zu diesen Symptomen.
»Vielleicht eine harmlose
Entzündung. Eine Schwellung, die auf die Lendenwirbel drückt. So etwas kann
schrecklich quälen«, sagte sie.
Er wusch die Katzenschüssel
aus und schüttete neues Futter hinein. Der Kater kam unter dem Sofa hervorgerannt
und sprang an ihm hoch. Er versuchte, ihm auszuweichen. Dann goß er Samen in
die Käfigbecher. Der olivgrüne Wellensittich hüpfte heran, der kobaltblaue
schlief ungerührt weiter.
Ethan hatte den ganzen Tag im
Krankenhaus verbracht. Um seine Arbeit kümmerte er sich nicht. Dabei mußte er
mehrere Artikel und Referate fertigstellen. Sein Terminkalender für die
nächsten Wochen war voll: ein Vortrag in New York, ein Seminar in Rom, eine
Rede in Budapest, eine Veranstaltung in Antwerpen, dann eine Konferenz auf
einem Schloß in Frankreich. Er verspürte keine Lust, Tel Aviv und seinen Vater
jetzt zu verlassen. In zwei Tagungsprogrammen hatte er zu allem Überfluß
gelesen, daß auch Rudi Klausinger dort auftreten würde.
Noa war unterwegs gewesen,
hatte sich in der Galerie einer Freundin und im Studio eines Kollegen sehen lassen.
Sie war losgezogen, um nach einer Wohnung Ausschau zu halten. Die Stadt war
noch teurer geworden.
»Für Sie mache ich einen
speziellen Preis«, sagte der Makler. »Aber wenn Sie mit
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