Rabinovici, Doron
Engländer, ein hochgeschossener Historiker in schwarzem Gewand und
lackroten Schuhen, ausstieß: »Hilarious!«
Erst als er geendet hatte und
die Diskussion eröffnet war, beschlich manchen im Raum doch noch eine Unsicherheit.
Aber niemand wagte, ihn direkt darauf anzusprechen, und auch er hatte
aufgegeben. Die ganze Auseinandersetzung, die in Osterreich zwischen ihm und
Ethan leidenschaftlich geführt worden war, konnte in diesem Rahmen niemanden
erregen.
Er sprach nach seiner Rückkehr
nicht über den Vorfall. Wozu auch? Nur Noa gegenüber machte er eine Andeutung,
doch sie lachte bloß darüber und erzählte ihm von einem Auftrag, den sie
übernommen hatte. Neben ihrer Arbeit für eine Firma, die Prothesen herstellte,
entwarf sie den Look für das Magazin einer Organisation, die papierlose
Einwanderer unterstützte.
Ethan interessierte sich kaum
für Noas Projekte, weil er in seine eigenen Studien verstrickt war. Rudi
hingegen konnte ihr endlos zuhören. Er wußte nichts von den Aufgaben einer
Grafikerin, und ihn beeindruckte ihre Vielseitigkeit. Für sie schien es keine
Routine zu geben. Ihre Person fügte sich nicht ein und wirkte dennoch überall
stimmig. Sie fiel aus dem Rahmen. Verstohlen schaute er ihr nach, schielte nach
ihr. Wenn sie seinen Blick erwiderte, hob sie eine Augenbraue. Er fühlte sich
nicht ernst genommen. »Hallo Halbschwager«, rief sie ihn.
Er war sich plötzlich unsicher,
ob seine Zuneigung für die Familie Rosen nicht längst von seinen Gefühlen für
Noa herrührte oder umgekehrt seine Begeisterung für die neue Verwandtschaft
daran schuld war, daß ihn Noa so reizte. Ihm war nicht einmal ganz klar, ob er
sie sehen wollte, weil sie mit Ethan zusammen war, oder ob er seinen Bruder
treffen wollte, weil er ständig an sie denken mußte. Ebenso verworren waren
seine Gefühle für diesen Staat und seine Pläne hierzubleiben. Nur eines wußte
er sicher: Er wollte Jude werden. Er wollte sich durch sein Bekenntnis zu
seinem Vater endlich binden.
8
Das Leben in Schwarzweiß. Menschen
im Kreis. Die Männer in blumigen Hemden und Jeans. Sandalen an den Füßen. Die
Frauen in kurzen Hosen oder weiten, bunten Röcken. Alle singen. Im Zentrum der
eine mit der Ziehharmonika. »Laila, laila, haruach goveret.« Der Wind frischt
auf, und Dina sitzt vor dem Bildschirm. »Laila, laila«, summt sie, und »numi,
numi«, schlaf ein, stimmt sie ein, aber sie schläft nicht, schließt nicht die
Augen, denn nachts schwärmen die Erinnerungen aus, machen sich auf den Weg.
Nacht für Nacht thront Dina
auf dem Sofa. Schlaf ein, schlaf ein, nur du wartest, schlaf ein, schlaf ein.
Nach dem Spätprogramm werden noch die alten Liederabende aus den siebziger
Jahren wiederholt. Laila, laila. Ein Schwarzweiß voller Leben. Eine Gruppe
sitzt zusammen, Junge und Alte. Sie singen von ihren Träumen, von der Not und
dem Schmerz früherer Zeiten. Sie singen von den alten Sehnsüchten, und Dina
sitzt da, mehr als dreißig Jahre später, und sinnt dem Singen nach. Sie singen:
»Wir haben gesät, doch nicht geerntet.« Sie singen: »Wir kamen ins Land, um
aufzubauen und erbaut zu werden.«
Es ist keine Galavorstellung,
die hier übertragen wird. Die Sängerrunde sitzt dicht gedrängt in einem schlichten
Raum. Vielleicht das Gemeinschaftszimmer in einem Kibbuz. Sie singen, als
lauschten sie dem eigenen Echo nach. Der Blick verklärt. Nacht für Nacht harrt
Dina aus, bis der Schlaf sie übermannt, und auch heute kann sie sich vom
Fernseher nicht losreißen. Im Nebenzimmer liegt Felix. Ermattet. Erledigt.
Nach der Dialyse wollte er
sich nicht ausruhen, sondern gleich ausgehen. Im Frederic Rand Mann Auditorium
gab es ein Klavierkonzert von Schostakowitsch, und die Eltern hatten Ethan und
Noa eingeladen, sie zu begleiten. Ethan kam beinahe zu spät. Am Nachmittag war
er in der Klinik gewesen, um seine Samenspende abzugeben. Noa bemerkte gleich,
daß ihn etwas quälte. Er grüßte Dina und Felix kaum, drückte sie aber, während
er sie auf den Mund küßte, um so fester an sich. Dann setzte er sich neben sie
und igelte sich ein. Sie spürte, daß ihn die Musik nicht erreichte. Vorgestern
waren sie gemeinsam in ihre neue Wohnung gezogen, und seit Felix aus dem
Krankenhaus entlassen worden war, arbeitete Ethan wieder. Er setzte sich
morgens an den Schreibtisch, beantwortete seine E-Mails, schrieb dann drei
Stunden an einem Buch, von dem er Noa noch nicht erzählen wollte, und widmete
sich nach dem Mittagessen kleineren
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