Rabinovici, Doron
dich schuldig. Seit Jahren. Seit
Jahrzehnten. Als du von seiner Affäre hörtest, wart ihr endlich quitt. Weiß er
überhaupt, daß ich nicht sein Sohn bin? Hast du es ihm verraten? Oder war ich
ein Kuckucksei?«
Dina stieß ein Lachen aus,
eine Art Rülpsen, voller Hohn. Ethan fragte: »Findest du das lustig?«
»Was soll ich sagen?«
»Warst du deshalb so
glücklich, ihm deine Niere spenden zu können? Es war eine Wiedergutmachung,
stimmt's?«
Sie schwieg weiterhin, worauf
er lauter wurde. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«
»Laß sie doch endlich in
Ruhe«, sagte Noa.
»Ich will eine Antwort.«
»Es geht nicht immer nur um
dich«, sagte Noa. »Was hast du denn damit zu tun?«
»Nichts.«
»Eben. Laß mich gefälligst mit
meiner Mutter reden.«
Sie stand auf, um zu gehen.
Dina fuhr ihn an: »Bist du verrückt geworden? Du schickst Noa nicht weg!« Und
zu ihr: »Noa, bleib da. Mir zuliebe.« Dann: »Entschuldige dich bei ihr.«
Noa zog sich an. Sie winkte
ab. Ethan schrie: »Ich will die Wahrheit! Wer ist mein Vater, Ima?«
»Was willst du wissen?« Felix
stand plötzlich in der Tür. Blaß, mit wirrem Haar, im Morgenmantel. Er stützte
sich am Rahmen ab. Das Gesicht vom Schlaf verquollen.
»Bravo«, rief Noa. »Jetzt hast
du ihn geweckt.« Alle schauten aneinander vorbei.
Felix blickte erschöpft. Er
ließ sich in einen Sessel unweit der Tür fallen und schloß die Augen: »Was
willst du wissen?«
Der Alte ächzte. Noa ging zu
ihm. Er griff nach ihr, bat sie, ihn zu stützen, und stolperte in die Küche.
Dann drehte er den Wasserhahn auf und füllte ein Glas. Er kehrte damit zurück
und setzte sich neben Dina auf das Sofa, vorsichtig. Er trank einen Schluck.
Dann, nach einer Pause, als rede er von anderem: »Seit fünfzig Jahren sind wir
verheiratet.« Sachte tastete er nach Dina. Seine Hand zitterte dabei. »Schau
sie an.« Er blickte auf Ethan. »Und du wagst es ...«
»Er hat ja keine Ahnung«,
sagte Dina, aber Felix murmelte: »Dafür hat man...« Dann biß er sich auf die
Lippen.
Dina sagte: »Er hat sich testen
lassen. Wegen der Nierenspende.«
Der Vater riß die Augen weit
auf und starrte Ethan an. »Wozu?« Er schaute sich um, sah den stummgestellten
Fernseher, sah die Menschen hinter Glas die Münder öffnen und schließen, und
Noa kam es vor, als ähnelten diese Gestalten aus den siebziger Jahren
buntschillernden Zierfischen im Aquarium. Sie erinnerte sich, wie sie als Kind
vor den Scheiben gestanden und sich gefragt hatte, ob die Wassertiere mit ihren
kleinen auf- und zuschnappenden Mäulern ihr etwas zuzurufen versuchten, eine
Mahnung vielleicht, und ihr war jetzt, als würden die Männer und Frauen aus
früheren Jahren nur deshalb am Bildschirm erscheinen, um das Land der Gegenwart
zu warnen. Vielleicht, so dachte sie, sollten diese Sendungen immer nur mit
ausgeschaltetem Ton angeschaut werden, damit die Stimmen nicht übertönen
konnten, was hinter den melancholischen Melodien lag.
»Mach das aus«, sagte Felix,
und Dina griff zum Mobiltelefon und drückte den roten Knopf. Sie bemerkte
ihren Mißgriff gar nicht, sondern mühte sich weiter mit der Taste ab.
Vergeblich. »Ich frage mich, ob du wirklich nicht ahnst, wer es ist«, sagte er,
und dann zu ihr gewendet: »Es hat keinen Sinn mehr.«
Irgendwo draußen heulte die
Sirene eines Rettungswagens auf. Felix sagte: »Es ist Dov. Dov Zedek.«
»Bist du mein Papa?« Eines
Morgens war er ins Bett der Eltern gestiegen und dort auf einen Fremden
gestoßen, und er, der kleine Bub, dessen Vater so selten zu Hause war, hatte
erstaunt gefragt: »Bist du mein Papa?« Die Mutter, die das Schlafzimmer den
Gästen, Dov und seiner damaligen Freundin, überlassen hatte, hatte ihm später
gesagt: »Das ist der beste Freund von Abba. Er heißt Dov. Er bleibt zwei Tage
bei uns.«
Erst nach Sekunden fand er
wieder zu sich. »Das ist ein Witz, oder?«
Felix schüttelte den Kopf. Er
könne keine Kinder zeugen, sagte der Vater. Er versuchte zu lächeln, aber es
gelang ihm nicht. Es sei ihm gar nicht möglich. Das Lager, flüsterte er und
schluckte. Das Würgen in der Kehle klang lauter als das, was er sagte. Die
Arzte meinten, es sei vielleicht eine Folge. Oder auch nicht. »Wer weiß?« Auf
jeden Fall sei er, und dann folgte eine Pause, unfruchtbar. Er sah drein, als
begreife er selbst erst in diesem Moment, wovon die Rede war. »Wir dachten
zuerst, es brauchte seine Zeit. Aber dann ...« Dina schaute aus dem Fenster,
und als sie sich
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