Rabinovici, Doron
Frauen wie sie vor langer Zeit von ihrer Jugend sangen. Sie
sagte, in einer Sängerin erkenne sie die Jugendliche, die einst in kurzen
Hosen, die Füße in dreckigen Stiefeln, Tomaten gepflückt habe. Noa und Ethan
könnten es womöglich nicht verstehen, aber sie entdecke sich selbst in dieser
Frau. »Ich war gerade aus Wien geflohen, und plötzlich stand ich auf dem Feld.
Vor Sonnenaufgang standen wir auf. Im Sommer kämpften wir gegen die Hitze. Im
Winter gegen den Schlamm.«
Haita ze'ira bakineret ascher
bagalil. Jung war sie am See. In Galiläa. Den ganzen Tag lang sang sie ein
Lied. Ein Lied der Freude. Sie kannte nur eines: Jung war sie am See. In
Galiläa. Haita ze'ira bakineret ascher bagalil. Die Frau vor der Mattscheibe
und jene dahinter sangen das Lied, zwischen ihnen das Glas und die Jahre, und
Noa schmunzelte und trällerte ein wenig mit. Ethan sagte: »Ich muß mit dir
reden, Ima.«
Dina stellte den Ton aus. Das
Singen verstummte, die Lippen rundeten und schlossen sich lautlos, die Köpfe
wiegten hin und her. »Was ist denn?« fragte Dina, aber Ethan blieb stumm. Er
blickte zu Noa hinüber. Sie stand auf.
»Ich habe keine Geheimnisse
vor ihr«, erklärte Dina. »Setz dich, Noa.«
Ethan ging zur Bar, griff zur
Whiskeykaraffe und goß sich einen Fingerbreit in eines der Kristallgläser. Nachdem
er einen Schluck genommen hatte, setzte er sich wieder. Es gehe um die
Nierenspende. Sie wisse ja, er habe mit Rav Berkowitsch über Felix geredet. Der
Rabbiner sei überzeugt gewesen, mit dem Samen von Rudi und Ethan den Messias
erzeugen zu können.
Dina zuckte mit den Achseln.
»Es laufen lauter Idioten durchs Land.«
»Es ging um Abbas Niere.
Jedenfalls mußten einige genetische Tests durchgeführt werden«, sagte Ethan,
und Noa sah, wie Dina erbleichte und ihr Mund aufklappte.
In der Klinik hatte die Ärztin
Ethan zu sich ins Zimmer gerufen. »Ich weiß, daß Sie heute wegen der Samenspende
hier sind, Herr Rosen. Wir müssen miteinander sprechen.«
»Kein Problem.«
»Sie kommen für uns nicht in
Frage.«
»Wer sagt das?«
»Die Testergebnisse. Ihr Vater
ist ein sehr naher Verwandter der Eltern jenes messianischen Embryos. Er ist
anscheinend der nächste Angehörige, der noch lebt.«
Obwohl Ethan nie an Gott und
die Erlösung geglaubt hatte, war ihm plötzlich, als adle sie ihn und seine Familie.
Er fühlte sich geschmeichelt: »Was Sie nicht sagen. Kurios.« Der Gedanke begann
ihm zu gefallen. »Lustig! Wer hätte gedacht, daß wir mit dem Messias verwandt
sind.«
»Sie, Doktor Rosen, sind
überhaupt nicht mit dem Messias verwandt. Es gibt keine genetische Übereinstimmung.«
»Aber Sie haben doch eben
gesagt ...«
»Ich sprach von Felix Rosen.
Nicht von Ihnen.«
»Ich verstehe nicht. Was
meinen Sie? Geht es wieder darum, daß mein Halbbruder außerehelich ist?«
»Herr Rosen, bitte.« Sie
atmete durch. »Es geht nicht gegen Sie oder gegen Klausinger. Wir haben
analysiert, ob Sie als Nierenspender für Felix Rosen in Frage kommen.«
»Und?«
»Sie wollten unabhängig davon
auch eine Überprüfung der verwandtschaftlichen Verhältnisse.«
»Nun, ja. Das stimmt. Darüber
habe ich mit der Assistenzärztin geredet. Nicht mit Ihnen. Ich will auch
nicht, daß mein Bruder davon erfährt. Mir ging es nur um die Frage, ob wir
wirklich eine Familie sind.«
»Was ist eine Familie?«
»Ob wir genetisch
übereinstimmen.«
»Ich kann Ihnen ohne
Einverständnis Ihres Bruders gar nichts sagen.«
»Gut. War es das? Was hat das
mit dem Messias zu tun?«
Sie sah ihm eindringlich in
die Augen. »Wir mußten feststellen: Felix Rosen ist nicht Ihr Vater. Sie sind
nicht sein leiblicher Sohn. Sie gehören dem Genpool, den wir analysieren, nicht
an. Verstehen Sie, Ethan? Sie sind kein Angehöriger dieser Gruppe. Ethan? Hören
Sie mir zu? Begreifen Sie, was ich Ihnen sage?«
»Was sagst du dazu, Ima?«
Dina schaute in die Ferne und
schwieg. Im Fernsehen klatschten alle stumm im Takt und sangen lautlos und
voller Glückseligkeit. Noa sah zu Ethans Mutter. Sie wollte nach ihrer Hand
greifen, sie umarmen. Dina spürte Noas Finger. Sie verzog den Mund zu einem
verkrampften Lächeln und rückte weg.
Ethan sagte: »Wußtest du das?
Warst du deswegen nicht wütend auf Abba? Ich habe die ganze Zeit nicht verstanden,
wie du Vaters Seitensprung so schnell vergeben und vergessen konntest. Ich
kapierte nicht, wieso du so ruhig geblieben bist. Wenn aber Felix nicht mein
Vater ist, dann wird mir alles klar. Du fühlst
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