Rabinovici, Doron
persönlichen Situation zurück. Nichts verbinde ihn mehr
mit Felix Rosen. Nichts auch mit dem Unbekannten, wie immer er heiße, der ihn
einst mit seiner Mutter gezeugt habe. Er kenne ihn nicht. Er vermisse ihn
nicht. Nicht mehr. Davon sei er endgültig kuriert.
Der Artikel war, Rudi
zweifelte nicht daran, zu scharf und viel zu ausführlich geworden. Er schickte
ihn dennoch ab. Sollte doch der Redakteur entscheiden. Sollte er ihm doch
sagen, daß er ein Tabu verletze, an das nicht gerührt werden darf. Nicht in
Osterreich. In Israel womöglich, nicht aber hier. Rudi hatte das Bedürfnis,
irgend jemanden mit seinem Zorn zu konfrontieren, er wollte zur Räson gebracht
werden. Aber es reizte ihn auch, mit dem Feuer zu spielen, und insgeheim
wünschte er sich, daß sein Artikel ungekürzt veröffentlicht würde.
Er versuchte, an anderes zu
denken, und meldete sich bei Wilhelm Marker, dem Institutsvorsitzenden.
Marker klang aufgeräumt: »Doktor
Klausinger? Ich bemühe mich schon seit Wochen, Sie zu erreichen.«
»Ich wollte nur nachfragen.
Wegen der Bewerbung.«
»Eben deswegen melde ich mich
bei Ihnen, Kollege Klausinger.«
»Ich war es doch, der Sie
anrief, Herr Professor.«
»Die Stelle ist immer noch
vakant. Rosen ist in Israel.«
»Ich war bei ihm, Professor
Marker.«
»Was? Bei ihm?«
»Naja, eigentlich bei seinen
Eltern.«
»Wie bitte? Als Freund?«
fragte Wilhelm Marker.
»Nein«, antwortete Rudi, »als
Sohn.«
Der Institutsvorstand verstummte.
Er brauchte einige Zeit, bis er wieder sprechen konnte, fragte aber nicht mehr
nach, sondern bot ihm einen Termin an, um über eine Anstellung zu verhandeln.
Kaum hatte Rudi den Hörer
aufgelegt, klingelte sein Mobiltelefon. Er war sich sicher, daß es der
erwartete Anruf des Redakteurs war, und hob ab, ohne auf das Display zu
schauen: »Hier Klausinger.«
»Hallo Rudi, hier spricht
Ethan.«
Schweigen. Er überlegte, das
Gespräch sofort wegzudrücken.
»Leg nicht auf. Hör zu.«
»Warum sollte ich?
»Es geht um Vater.«
»Was hab ich mit ihm zu tun?«
Ethan wollte antworten, aber
Rudi fiel ihm ins Wort. Während der eine flüsterte: »Felix ist gestorben«,
brüllte gleichzeitig der andere: »Felix ist gestorben für mich.«
»Nein, nicht deinetwegen. Du
bist nicht schuld«, sagte Ethan.
»Woran bin ich nicht schuld?«
»An seinem Tod.«
»Was?«
»Ja.«
»Was: Ja?«
»Vater ist nicht mehr.«
»Nein!« Rudi stürzte nach
hinten in den Sessel, und wieder sein »Nein!«, ein ums andere Mal. Dann
schwiegen sie einander an. »Wieso denn?«
»Herzstillstand. In jener
Nacht. Als du weg bist.«
»Nein!«
Rudi stand auf. Er ging im
Zimmer umher. Ethan hörte die Schritte. Rudi redete vor sich hin. Er könne es
nicht glauben. Felix sei so unverwüstlich gewesen. Er habe doch noch vor kurzem
...
Ethan sagte: »Er wird morgen
begraben. Aber wir wollen allen ermöglichen, auch aus dem Ausland anzureisen.«
»Natürlich.«
»Es wäre schön.«
»Ja ...«
»Es hätte ihm viel bedeutet.«
Rudi dachte an den Artikel.
Ethan sagte: »Für ihn warst du
ein Sohn.«
Rudi seufzte: »Na, ja ...«
Ethan fuhr ihn an: »Hör auf
mit dem Blödsinn.« Und dann: »Ich will deinen Namen in der Todesanzeige nennen.
Für die Zeitung. In Ordnung?«
»Klar.«
»Es geht nicht um Vererbung.
Willst du für ihn nicht Schiwe sitzen?« Er müsse sich schnell entscheiden, sagte
Ethan. Er nannte den Termin für die Bestattung. Noch sei Zeit, den Flug zu
buchen.
Rudi saß völlig ermattet vor
dem Schreibtisch. Minutenlang. Sollte er nach Tel Aviv oder nicht? Plötzlich
fiel ihm der Artikel ein. Er durfte jetzt auf keinen Fall erscheinen. Nicht
mehr nach dem Tod von Felix Rosen. Er rannte zum Telefon und wählte die Nummer
des Redakteurs.
»Es geht um meinen Artikel. Es
ist etwas Schreckliches geschehen.«
»Starkes Stück. Haut rein.
Besonders im Zusammenhang mit der Todesanzeige. Mein Beileid übrigens.«
»Welche Todesanzeige?«
»Ich dachte, das wissen Sie.
Ihr Name ist drauf. Ethan Rosen rief vorhin an. Das Inserat für seinen Vater.«
»Bei Ihnen im Blatt?«
»Ja. Morgen. Keine Sorge: Das
erscheint. Gute Idee, die Anzeige auch dort zu schalten, wo er geboren und von
wo er vertrieben wurde und wo er später wieder lebte. - Und danke für Ihren
Beitrag. Wirklich ein starkes Stück. Bin gespannt, wie das ankommt.«
»Aber mein Text steht doch in
krassem Widerspruch zur Traueranzeige. Er ist tot. Verstehen Sie?«
»Das ist mir nicht entgangen.
Lesen kann ich.
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