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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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angerufen, begann der davon zu sprechen. Zaghaft. Besorgt.
Verwirrt. Er murmelte: »Mein Beileid, wenn ich das überhaupt so sagen darf.«
Und dann: »Ich muß sagen, du bist ganz schön ...«, das Zögern, die Suche nach
dem richtigen Wort und dann: »... mutig.«
    Am nächsten Tag in der Früh
rief ihn die Kulturredakteurin einer angesehenen deutschen Tageszeitung an.
»Lieber Herr Klausinger, ich wollte fragen, ob Sie bereit wären, Ihren Beitrag,
den Sie gestern in Osterreich veröffentlichten, bei uns weiter zuzuspitzen.«
    »War er nicht scharf genug?«
    Die Redakteurin bot ihm an, in
ihrem Blatt noch einmal nachzufassen und einiges richtigzustellen. Aber Rudi
wollte nicht. Er trauere um Felix Rosen. Er könne sich nicht mehr äußern. Am
liebsten wäre ihm, die Angelegenheit würde wieder vergessen.
    »Herr Klausinger, ich fürchte,
dafür ist es zu spät.« Der Artikel sei auf den deutschen Medienseiten im
Internet verlinkt. Blogger aus dem ganzen deutschsprachigen Raum und auch in
Israel hätten bereits Stellung genommen. Er dürfe nicht übersehen, daß Felix
Rosen der Vater des renommierten Wissenschaftlers Ethan Rosen sei, dessen
Bücher sehr viel Anerkennung fänden und dessen Theorien Aufsehen erregt hatten.
Und Felix Rosen sei ein Überlebender gewesen, das komme noch hinzu. Er sei in
den Brennpunkt einer neuen Debatte geraten. »Ich gratuliere, Herr Klausinger.
Das ist ein starkes Stück!«
    Es meldeten sich eine weitere
deutsche und eine österreichische Zeitung, die jeweils um ein Interview baten,
und ein Privatsender plante eine Talkshow mit dem Titel: Stirbt Auschwitz? Was bleibt
von der Erinnerung, wenn die Überlebenden nicht mehr überleben?
    Rudi hörte nicht mehr zu.
Zuletzt erreichte ihn noch der Satz, den die Fernsehredakteurin wie nebenbei
gesagt hatte. »Mit Ethan Rosen habe ich bereits gesprochen.« Er habe zugesagt.
Er stehe für ein Gespräch zur Verfügung, wenn auch Rudi daran teilnehme. Über
Satellitenschaltung. Sie sagte: »Ich habe ihm den Artikel geschickt.«
    Nein, sagte Rudi, er werde
sich nicht mehr äußern. Er könne nicht. Er legte auf und schaltete das Gerät
ab. Wenn er nach Israel aufbrechen wollte, mußte er jetzt zum Flughafen
fahren, aber er saß in seinem Zimmer, fertig zum Aufbruch und unfähig, ein Taxi
zu rufen. Er würde in Wien bleiben. Die anderen würden ihm vorwerfen, Felix
verraten zu haben; zu Recht. Er hatte ihn denunziert, ihn bloßgestellt, hatte
herausposaunt, daß er nicht sein und auch nicht Ethans Vater war. Aber
vielleicht war für die Leser die Wahrheit gar nicht klar zu sehen? Immerhin
stand der Text im Widerspruch zur Traueranzeige.
    Er saß vor dem gepackten
Koffer, das Ticket in der zittrigen Hand. Er war übernächtigt. Er beschloß,
die Schuhe anzuziehen und den Mantel überzustreifen. Er ging zur Garderobe.
Langsam band er die Schnürsenkel, als handle es sich dabei um eine Arbeit, die
höchste Konzentration erfordere. Er benahm sich wie ein Sprengstoffexperte,
der eine Mine entschärfte. Kein falscher Handgriff. Als Rudi mit den
Schuhbändern fertig war, setzte er sich wieder aufs Sofa. Er sah auf die Uhr.
Wenn er nach Israel wollte, mußte er zumindest zwei Stunden vor Abflug am
Flughafen sein. Das Taxi brauchte eine halbe Stunde nach Schwechat. Wenn er es
jetzt nicht bestellte, würde die Maschine ohne ihn abheben. Er blieb hocken und
griff zum Telefon. Der Institutsvorsitzende meldete sich: »Hier Marker.«
    »Guten Tag, Herr Professor.
Hier spricht Klausinger. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich erst nächste
Woche zu Ihnen kommen kann.«
    »Ich habe Ihren Artikel heute
gelesen.«
    »Ja?«
    »Spannend. Beinahe verstörend.
Insbesondere durch die Todesanzeige. Der Widerspruch.«
    »Das ist kein Widerspruch. Das
eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
    »So? Auf jeden Fall spannend.«
Es war ein Zögern in Markers Stimme. »Wie Sie sich mit Identitätsfragen und
ihrer eigenen Herkunft auseinandersetzen, ist interessant.« Wie merkwürdig.
Offenbar war er in den Augen des renommierten Wissenschaftlers ausgerechnet
durch seine Provokation zum Experten geworden. Marker fragte: »Sie wollen wohl
zum Begräbnis?« Er wartete die Antwort erst gar nicht ab: »Ich vergaß ganz,
Ihnen mein Beileid auszusprechen.«
    In diesem Moment schluchzte
Rudi los, und er war unfähig, Marker zu antworten, konnte nicht einmal mehr
danken für die Worte der Anteilnahme. Etwas überwältigte ihn, er wußte nicht
mehr weiter und verabschiedete sich

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