Rabinovici, Doron
die Arbeit und seine Karriere vernachlässigt. In Wien würden
Verpflichtungen warten.
Natürlich, pflichtete Jossef
bei, das werde nicht einfach, aber dann meldete sich Jaffa bei Dina. Es gebe
schließlich an jedem Tag mehrere Flüge nach Tel Aviv. Da werde doch auch Rudi
Zeit finden, seinen eigenen Vater zu bestatten. Sie habe bereits mit Mosche und
Udi geredet und auch mit Eli, dem Friseur, zu dem Felix all die Jahre gegangen
war, und alle seien ihrer Meinung. Wenn Felix sich zu dem Buben bekannt habe,
solle sich Dina, auch wenn es ihr jetzt schwerfalle, nicht dagegen stemmen. Der
Junge gehöre zur Mischpoche. Er habe sich so sehr um seinen Vater bemüht. Dina
sei, sagte Jaffa, doch ohnehin seine große Liebe, seine legitime Frau gewesen.
Er sei immer bei ihr, bei Dina, geblieben. Nur das allein zähle, und jetzt wäre
wichtig, alle Eifersucht zu überwinden und Großmut zu beweisen.
Es war unmöglich, dem Thema
auszuweichen. Zugleich aber war es undenkbar, klarzustellen, daß Rudi und Ethan
nicht die leiblichen Söhne des Toten waren. Was sollte er auch sagen.
Schließlich wußte er selbst erst seit gestern von seiner Abstammung. Er hätte
es überdies als Verrat an Felix empfunden, jetzt von diesen Verstrickungen zu
reden. Und wenn er sein eigenes Geheimnis für sich behielt, hatte er dann das
Recht, Rudis Geschichte auszuplaudern? Sollte der doch selbst erklären, wer
Felix für ihn gewesen war. Mochte doch Rudi entscheiden, ob er ein Sohn, ein
Bruder, ob er ein Rosen sein wollte.
Ethan erfaßte ein Widerwillen
gegen die familiäre Betulichkeit, gegen die Einmischungen und Grenzüberschreitungen.
In anderen Familien hätten die Verwandten abgewartet, sich zurückgehalten,
hätten hinterrücks um so mehr getuschelt, aber zumindest nach außen den Schein
gewahrt. Hier nicht. Hier mußte jeder jedem seine Nase in den Arsch stecken, um
ihm dann einfühlsamst mitzuteilen, es rieche da nicht nach Rosenöl. Ethan
ärgerte sich unsäglich. Gleichzeitig hatte er immer stärker das Gefühl, es sei
im Sinn von Felix, Rudi anzurufen und ihm Bescheid zu geben.
»Ich muß es ihm sagen. Er hat
das Recht, zu wissen, was geschehen ist. Er soll entscheiden, ob er an der
Bestattung teilnehmen und ob er als Sohn auftreten will.«
Dina widersprach: »Er wollte
kein Rosen mehr sein. Erinnerst du dich nicht? Das sagte er gestern noch.«
»Ima, gestern hatte ich noch
einen Vater.«
Rudi Klausinger saß an seinem
Schreibtisch. Vor ihm sein neuer Laptop. Den alten hatte der Techniker im
Geschäft sofort weggeworfen. Das Ding sei allenfalls als Sondermüll
interessant, hatte er gemeint. Der Artikel war geschrieben und abgeschickt. Der
Redakteur war begeistert gewesen, als er ihm gesagt hatte, er wolle eine Art
Reportage über die Suche nach seinem jüdischen Vater abliefern. Einen Aufsatz,
der sich mit der Frage beschäftige, was Geschichte eigentlich sei.
»Das klingt interessant. Das
wäre eine anschauliche Darstellung dessen, was sonst nur dogmatisch abgehandelt
wird. So kann gezeigt werden, was die Auseinandersetzung mit Historischem
bringt. Muß ich wissen, woher ich komme, um zu verstehen, wohin ich gehe?«
»Meine Antwort wird Sie
überraschen.«
»Um so besser.«
Rudi ließ ihn reden. Er
versprach, das Stück schon am nächsten Tag zu schicken. Dann setzte er sich hin
und arbeitete die Nacht durch. Während des Schreibens klärten sich seine
Gedanken. Er erzählte von der Fahndung nach den Rosens. Er berichtete von der
jüdischen Heimsuchung, die über ihn gekommen war. Daß er sogar den Übertritt
geplant hatte. Er erwähnte Rabbi Berkowitsch und sein Projekt, den Messias im
Reagenzglas zu erschaffen. Und hatte nicht auch er selbst versucht, als Hebräer
wiedergeboren zu werden? Was, wenn er genetisch wirklich der Sohn von Felix
Rosen gewesen wäre? Hätte ihn das von Geburt an zum Antinazi gemacht? Oder
jüdischer? Was, wenn er nun herausfände, sein Vater sei der Kommandant eines
Konzentrationslagers gewesen?
In seinem Aufsatz stellte er
die Frage, ob die Identifikation mit den Opfern nicht kontraproduktiv sei. In
Israel, in Deutschland und in Osterreich. Bringe die dauernde Beschwörung des
Massenmords nicht heutige Jugendliche erst auf die Idee, sich als neue Nazis
zu verkleiden? Schüre die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg nicht den Haß auf
allen Seiten, insbesondere im Nahen Osten? Bestehe nicht die Gefahr, die Gegenwart
mit det Vergangenheit zu vergiften?
Zum Schluß kehrte er
kurzerhand zu seiner
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