Rabinovici, Doron
Sehr subtil. Gerade diese Ambivalenz. Wer kennt das nicht?«
»Aber müssen Sie nicht kürzen
- und entschärfen?
»Ohne den Todesfall hätte ich
Ihren Artikel gar nicht veröffentlicht. Keine Aktualität. Und viel zu lang.
Aber so. Starkes Stück!«
»Mein Text darf nicht
erscheinen.«
»Was? Sind Sie verrückt?«
»Es geht nicht. Ich ziehe ihn
zurück.«
»Zu spät. Er ist schon in
Produktion.«
»Ich untersage Ihnen, den
Artikel unter meinem Namen abzudrucken.«
»Aber unter welchem Namen denn
sonst?«
»Sie müssen die Maschinen
stoppen!«
»Unmöglich. In wenigen Stunden
können Sie die Zeitung auf der Straße kaufen. - Da läßt sich nichts mehr
ändern.«
»Aber die späteren Ausgaben?«
»Ich kann doch nicht einen
doppelseitigen Text verschwinden lassen. Wie stellen Sie sich das vor? Sollen
wir alles einschwärzen? Spielen wir Metternich?«
»Es ist immer noch mein
Kommentar. Meiner!«
»Ja, eben. Und als solcher
wird er auf der Titelseite angekündigt und erscheint er im Blatt. Keine Angst.
Ihr Name ist hervorgehoben«, sagte der Journalist. Rudi sah ein, daß es
aussichtslos war. Es war nicht mehr ungeschehen zu machen. Er seufzte, und
vielleicht tat er in diesem Moment dem Redakteur Fred Sammler leid, denn der
sagte: »Wir könnten Sie für die Ausgabe morgen früh aus der Todesanzeige
tilgen. Wäre Ihnen das recht? Wenn Sie der Widerspruch so stört, dann weg
damit. Wollen die Leser dann einen Zusammenhang erkennen zwischen jenem Felix
Rosen in Ihrem Text und dem in der Annonce, müssen sie Ihre Geschichte schon
komplett lesen. Jetzt hingegen steht Ihr Name fett unter dem Titel und in der
Parte. Das fällt natürlich auf. Was denken Sie?«
Rudi schwieg. Sollte er sich
aus der Traueranzeige davonstehlen und Felix' gar nicht mehr gedenken? »Nein«,
antwortete er entschieden.
Vielleicht buchte er nicht
trotz, sondern wegen seines Artikels den Flug nach Israel. Er wollte zum
Friedhof und danach Schiwe sitzen. Was aber, wenn es während der Bes tattungszeremonie zum Eklat käme? Was, wenn irgend ein Gast ihn auf seinen Aufsatz anspräche? Hoffentlich hatten
wenigstens die Rosens
seinen Artikel noch nicht
zu Gesicht bekommen.
Wenige Stunden später wußte
er: Der Wunsch, sein Beitrag könnte übersehen werden, war naiv gewesen. Gerade
der persönliche Teil der Geschichte interessierte am meisten. Daß er einerseits
erklärte, er vermisse Felix Rosen nicht und wolle mit ihm nichts mehr zu tun
haben, und zugleich verkündete, er werde ihn niemals vergessen, wurde geradezu
als Skandal empfunden.
Zunächst sah er sich die
Zeitung im Internet an. Um seinen Artikel tobte eine wilde Debatte. Die
Postergemeinde kochte. Er wurde beschimpft, denunziert und verhöhnt. Die einen
sahen in ihm einen verkappten Antisemiten, die anderen einen Pseudo-Juden, und
während er manchen zu jüdisch schien, war er es vielen wiederum zu wenig.
Einige warfen ihm vor, er rede der Beschönigung der Vergangenheit das Wort,
aber nicht wenige lobten ihn eben deshalb, und er wußte nicht, was ihn
schlimmer traf.
Auf der Homepage der Zeitung
waren jene Artikel angeführt, welche die meisten Postings provoziert hatten.
Seiner kletterte in kurzer Zeit an die Spitze. Einer, der sich Mario Nette nannte, lästerte über ihn
persönlich. Er kenne ihn noch aus Studienzeiten. Rudi Klausinger sei immer
schon ein Denunziant gewesen. Er habe am Institut in jedem einen Faschisten
gewittert. Rudi verfolgte mit, wie eine Verleumdung die nächste nach sich zog.
Mittlerweile hieß es, er
stamme aus einer Nazifamilie und sei bereits öfter mit antijüdischen Attacken
aufgefallen, während die andere Partei meinte, er sei vielmehr das
Musterbeispiel jüdischen Selbsthasses. Schon war eine Einigung zwischen beiden
Gruppen - und zwar auf seine Kosten - in Sicht, als er beschloß, die Wohnung zu
verlassen und die Druckausgabe zu kaufen.
Felix und ihm war eine
Doppelseite gewidmet. Links war das Foto von Rosen und rechts sein eigenes zu
sehen. Der Alte sah freundlich drein. Seine Aufnahme stammte hingegen von einer
Universitätsveranstaltung, während deren er einem Nachbarn gerade etwas
spöttisch zuflüsterte. Es sah aus, als ekle er sich vor Felix.
Sein Mobiltelefon klingelte.
Ein alter Freund erkundigte sich, ob es ihm gutgehe, aber schon die Frage
klang wie ein Vorwurf, als zweifle der andere an Rudis Verstand: »Geht es dir eigentlich
noch gut?« Und eben, da Rudi nicht mehr glaubte, der andere habe ihn wegen
seines Kommentars
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